Heldensabbat
abrupt stehen, als hätte er ihn erst jetzt bemerkt. Seine zweifarbigen Augen fixieren ihn starr und kalt. »Und Sie, Herr Dr. Faber«, fragt er scharf, »auch Sie werden den Antrag stellen!« Er schnippt mit dem Finger.
Dr. Faber betrachtet ihn kühl, gelassen. Er sieht vor sich die brennende Synagoge, den Kommerzienrat Lenz, den ein SA-Rabauke an der Kirchenmauer erschlägt, und er denkt an den Schwur, den er in dieser Nacht leistete, als sich Sibylle gegen seine Schulter lehnte. Sibylle – ja, wie weit ist sie auf einmal von ihm weg.
Dann strafft sich Dr. Fabers Oberkörper. Seine Hände sind flach und trocken. »Nein«, sagt er dann so fest und ruhig, daß ein paar andere Lehrer erschrocken zusammenfahren. »Ich treffe meine eigenen Entscheidungen.«
»So«, erwidert Dr. Schütz. Die Silbe zischt durch die Luft wie ein Peitschenhieb. »Sie sind mir in weltanschaulicher Hinsicht schon einmal mehr als unangenehm aufgefallen. Ich habe Gnade vor Recht ergehen lassen, trotz eines massiven Elternprotestes, aber«, sagt er, während das Pausenzeichen das Ende des Schultags anzeigt, »diesmal werde ich mit allen Mitteln dafür sorgen, daß Sie nicht wieder aus der Reihe tanzen. Wie gesagt«, beendet der Rex die Nötigung, »Sie haben eine Woche Zeit.«
Die Angesprochenen verlassen benommen den Raum. Zunächst sagt keiner ein Wort zum anderen.
Die Erfolgsmeldung scheint dem Chef der Politischen Polizei so wichtig, daß er als sein eigener Bote in die Hainstraße aufbricht, um sie dem Leiter der SD-Außenstelle persönlich zu überbringen, um sein langentbehrtes Lob einzuheimsen.
»Der Hauptsturmführer telefoniert gerade«, sagt eine Sekretärin. Mein Gott, ist der Mann aufgeregt, überlegt sie, während Bruckmann von einem Fuß auf den anderen tritt.
Die Tür öffnet sich, Panofsky streckt den Kopf heraus.
»Ich glaube, wir sind ein ordentliches Stück weitergekommen«, ruft ihm der Kriminaloberkommissar zu.
»Wird ja wohl auch Zeit«, versetzt der Fahlblonde. »Kommen Sie rein, Mann.«
»Dr. Hartwig fährt nach Ostern zu Exerzitien nach Vierzehnheiligen.«
Die Neuigkeit reißt den SD-Mann nicht vom Stuhl.
»Ich habe einen V-Mann gewonnen«, fährt Bruckmann fort, »der uns über die Geschehnisse im engsten Kreis berichten wird.«
»Sie sind vielleicht ein Optimist«, erwidert Panofsky. »Die beten und fasten und schweigen doch bloß bei ihren komischen Exerzitien.«
»Aber am Ende, bevor sie auseinandergehen, nehmen sie sich kein Blatt mehr vor den Mund und bekennen sich offen zur Regimefeindlichkeit.«
»Sicher, aber wir sind ja nicht dabei«, räumt der SD-Chef ein.
»Doch, diesmal sind wir dabei. Kennen Sie Dr. Fibig, den Arzt?«
»Das ist doch ein ganz schwarzer Hund.«
»Eben«, bestätigt Bruckmann. »Glück gehabt. Einer meiner Leute hatte nachts Jourdienst. Fibig kam mit dem Wagen von einer Tagung seiner Verbindung, ziemlich voll –«
»Verträgt er das Saufen nicht mehr?«
»Genau, in diesem Zustand hat er einen Radfahrer umgefahren. Er gab ihm Geld und haute ab, bevor die Polizei am Unfallort erschienen ist.«
»Fahrerflucht?«
»Könnte man sagen«, bestätigt Bruckmann. »Peinlich für ihn. Reputation im Eimer. Und vor allem der Führerschein weg, den er für seine Krankenbesuche braucht. Außerdem ist er ein richtiger Schlappschwanz.«
»Sie haben ihn also umgedreht?«
»So ist es. Ich hab' den Fall sofort an mich gezogen und den Mann bearbeitet.«
»Gut«, erwidert Panofsky. Er sitzt mit zusammengekniffenen Augen an seinem Schreibtisch und spielt mit dem Lineal. »Das ist Ihnen doch klar, Bruckmann, daß diese Steinbeils, Mutter und Sohn, nicht mehr aus der Schweiz zurückkommen werden?«
»Das fürchte ich auch, Hauptsturmführer«, erwidert der Schlagflüssige, »aber ich – es ist nicht meine –«
Der SD-Chef unterbricht ihn mit einer Handbewegung. »War mein Fehler, nicht Ihrer. Ich hab' mich weichmachen lassen, von ein paar Leuten aus der Kreisleitung.« Eher befriedigt als verärgert setzt er hinzu: »Und das ist mir die Sache wert –«
»Wert?« fragt der Kriminalbeamte.
»Ja. Wenn ich mal«, sein Mund platzt vor Spott wie eine faule Schote, »was ich nicht hoffe, Streit mit diesen durstigen Hoheitsträgern bekommen sollte, dann bring' ich das aufs Tapet. Das häng' ich Ihnen an. Die haben mich gegen meinen Willen gezwungen, den Paß ausstellen zu lassen.« Panofsky steht auf, lächelt. »Ich hatte Sie gewarnt, aber dieser Vollhals hat sie ja richtiggehend
Weitere Kostenlose Bücher