Heldenstellung
starre ihn mit offenem Mund an. Wer will hier was aufbeefen? Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick zur Tür und mache mich zum Full-Take-off bereit. Aber wenn ich jetzt rausrenne, fällt das auf meinen Vater zurück. Ich muss Adams böses Spiel mitspielen und irgendwie Zeit gewinnen, bis mich mein Vater hier rausholt.
»Aus meinem letzten Projekt kenne ich den internationalen Markt tatsächlich sehr gut«, beginne ich. Vor allem den vietnamesischen Spätkauf bei mir in Berlin.
»Tatsächlich bin ich auch mit den Bewegungen in der Pharmaindustrie bestens vertraut«, improvisiere ich und denke dabei an die Bewegungen der Apothekerin vom
Tresen zum Regal mit den Schmerzmitteln gegen meinen Montagskater. Aber das kann ich denen ja schlecht erzählen. Also schaue ich erst mal die Grafik an der Wand an und versuche, irgendeinen Sinn dahinter zu erkennen. Um mich und die anderen zu beruhigen, murmele ich dabei: »Ja, soso, mhmhm, okay, klar.«
Schließlich unterbricht Adam meine Grübeleien. »Und, was meint der Experte?«, will er wissen. Ich entschließe mich zur Flucht nach vorn. In den Improvisationskursen an der Schauspielschule musste ich auch schnell in neue Rollen schlüpfen. Jetzt muss ich einen Berater spielen, und zwar überzeugend. Wie hieß noch dieser Film mit George Clooney? Ich schließe kurz die Augen. Es ist meine einzige Chance.
»Ich würde mich gern kurz ins Thema einarbeiten«, entgegne ich, »mir schnell die ganze Präsentation ansehen, damit ich genau weiß, worum es geht. Leider kann ich nicht einfach mit den Fingern schnippen und Ihr Problem lösen. Das wäre unseriös und nicht meine Art.«
Die Anwesenden nicken erleichtert. Sie sitzen bestimmt schon eine Weile hier in dem stickigen Konferenzraum und können gut eine Pause gebrauchen. In der Zeit kann ich meinen Vater bitten, mich hier rauszuholen.
Ich sehe die Assistentin an.
»Würden Sie uns bitte etwas Kaffee machen? Die Herren hier schlafen gleich ein. Und lüften Sie doch bitte mal kurz durch, etwas frischer Wind tut immer gut!«
Die Kinnlade der Frau sackt herunter. Adam kichert hämisch hinter vorgehaltener Hand. Die Frau lächelt, als hätte sie mich nicht richtig verstanden:
»Ich soll Ihnen Kaffee holen?«
Mein Magen grummelt erneut. Vielleicht ist Kaffee wirklich keine so gute Idee. »Meinen Sie Tee wäre besser?« Die Frau deutet an sich herunter:
»Sehe ich aus wie eine Assistentin?«
Die Blicke der Anwesenden, die zwischen der Frau und mir hin- und hergewandert sind, bleiben jetzt an mir hängen.
»Sie sehen aus wie eine Frau, die etwas von Kaffee versteht«, sage ich vorsichtig.
Jetzt steht Adam auf und deutet zu ihr herüber. »Frederick, das hier ist Frau Merler-Beckscheid, die Deutschlandchefin unseres Kunden Strong Pharma.«
»Haha, war ja nur Spaß«, versuche ich, die Notbremse zu ziehen. Aber da ist der Karren schon vor die Wand gefahren. Die weibliche Führungskraft sieht mich kopfschüttelnd an.
»Ich denke, damit haben Sie sich sowohl zum Deppen als auch zur Legende gemacht. Und Sie sind wirklich Richards Sohn?« Frau Merler-Beckscheid steht auf. »Adam, es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber das war etwas zu viel des Guten.« Nun erheben sich auch die Kollegen und packen ihre Notizen zusammen. Sie haben es plötzlich sehr eilig, den Raum zu verlassen.
»Wir sollten Schluss machen für heute.«
Adam nickt. Die Frau zückt ihr Smartphone und dreht sich in meine Richtung, ohne mich direkt anzusehen. »Morgen bin ich wieder hier, bis dahin können Sie sich ja überlegen, wie Sie aus dem Fettnapf wieder rauskommen. Sonst gehe ich zur Konkurrenz.«
Ich beiße die Zähne zusammen. Meine ausgestreckte Hand schlägt die Geschäftsfrau aus. Sie hebt das Telefon ans Ohr und beginnt zu sprechen. Ohne uns noch eines Blickes zu würdigen, stürmt sie hinaus. Kaum ist die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, fängt Adam aus vollem Hals an zu lachen. Er zeigt mit dem Finger auf mich und prustet los, als wäre ich der Klassendepp, der gerade im Lateinunterricht De bello Gallico mit »Über den schönen Gallier« übersetzt hat.
Als er sich wieder etwas beruhigt hat, steht er auf und schaltet den Beamer aus. »Das wird nichts mit der Partnerstelle, mein Lieber. Dein Vater wird niemals einen Nachfolger einstellen, der einen der besten Kunden unserer Agentur vergrault hat. Du hast dir gerade deine Zukunft verbaut«, sagt er mit zuckerböser Stimme. »Und deinem Vater einen ordentlichen Stein in
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