Heldenstellung
lächelt.
»Ein Superheldenfan, wie süß. Ich finde, wir sollten den Helden zum Thema unseres heutigen Talks machen.«
Unseres Talks? Ich dachte, wir machen hier Yoga? Müssen wir dann auch noch darüber reden? Sina kramt in ihrer Stofftasche, holt ein abgegriffenes Büchlein heraus, blättert darin, hält kurz inne und sagt dann:
»Sei stark wie Hanuman oder Bhima. Sei großherzig wie der Himmel. Sei tief wie der Ozean. Sei fest und standhaft wie der Himalaja. Das hat Swami Sivananda gesagt.«
Den kenne ich nicht. Und von Leuten, die ich nicht kenne, lasse ich mir grundsätzlich nichts sagen.
Jay hält die Augen geschlossen und lächelt. Wahrscheinlich ist er schon bei der ersten Metapher eingeschlafen.
»Sind Sie so großherzig wie der Himmel?«, fragt mich Sina. Alle Blicke wenden sich zu mir.
Ich schaue zerknirscht. »Also, blau wie der Himmel würde es eher treffen.«
»Sind Sie standhaft wie der Himalaja?«, fragt sie. Gerade will ich erneut zu einem blöden Spruch ansetzen, da merke ich, dass ich wirklich gern standhafter wäre. Ein wenig Ruhe und Besonnenheit würden meinem Leben sicher mal ganz guttun. Aber das werde ich hier wohl kaum an die große Glocke hängen.
»Wie ist es bei den anderen?«, fragt Sina nun und schaut in die Runde. Niemand wagt sich vor.
»Na gut«, sagt Sina. »Aber denken Sie mal über die Worte von Swami Sivananda nach.«
»Und Sie glauben also, dass man durch Yoga standhafter wird?«, frage ich.
»Ich und fünf Millionen Menschen in Deutschland, die Yoga üben«, meint sie. »Die Frauenquote in den Kursen liegt bei achtzig Prozent, obwohl Yoga ursprünglich ein Männersport war, wie Ihr Kollege schon richtig erklärt hat. Auch Sting und Ralf Bauer machen Yoga.«
»Na, das sind wirklich wahre Männer«, ätze ich und knuffe Thomas aufmunternd in die Seite. Aber der hört ganz konzentriert zu.
»Woran liegt es also, dass sich auch in Deutschland immer mehr Leute in den nach unten schauenden Hund, die Krähe oder die Heldenstellung wagen?«, fragt Sina.
»An dieser Yoga-Jordan aus der Bildzeitung?«, rate ich.
Sina verneint mit dem Zeigefinger.
»Nein, die Wahrheit ist viel trauriger«, fährt sie fort. Sie deutet mit dem Finger von einem zum anderen.
»Ich habe keine Ahnung von PowerPoint, aber lassen Sie mich versuchen, es in Ihrer Sprache zu sagen, also mit objektiven Fakten: Die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von Depressionen, Angststörungen oder Rückenschmerzen ist laut der Untersuchung Arbeitsunfähigkeit und psychische Erkrankungen seit 2004 um fast 1400 Prozent nach oben geschossen. Es muss ja nicht immer gleich ein Burn-out sein, aber selbst Unternehmensberater wie Sie, die sonst jede Herausforderung stemmen, fühlen sich irgendwann überfordert und abgekämpft. Yoga ist ein Weg gegen das Ausbrennen.«
Als sie geendet hat, steht Jay auf und klatscht. Die anderen stimmen ein.
Sina sieht von einem Teilnehmer zum nächsten.
»Gibt es irgendetwas, das ich über Sie wissen sollte?«, fragt sie. »Verletzungen, Beschwerden?«
Ich halte meine bandagierte Hand hoch. Sina nickt.
»Zu heldenhaft gewesen? Na, dann wollen wir mal zusehen, dass Sie etwas Energie bekommen. Unsere erste Yogastellung ist das Dreieck, Trikonasana.«
Sofort gehe ich in eine Stellung, die dem Y des Ausdruckstanzhits YMCA ähnelt.
»Das wird Ihnen neue Kraft geben«, sagt Sina und stellt sich in Position. »Die Füße eine gute Beinlänge auseinander, die Knie durchgedrückt, die Fußaußenkanten parallel zum Mattenrand. Dann strecken Sie die Arme nach links und rechts. Nun drehen wir den hinteren Fuß um ungefähr sechzig Grad ein und den vorderen Fuß um neunzig Grad aus.«
Das klingt nach höherer Mathematik. Und ich muss mich verrechnet haben, denn ich stehe ganz schön wacklig.
Als nächstes zieht Sina die Hüfte zurück, stellt die rechte Hand auf ihr Knie und streckte die linke Hand nach oben. Dabei dreht sie ihren Körper regelrecht auf. Sieht zugegebenermaßen wieder ziemlich symmetrisch aus.
Jay hat einfach die Haltung eingenommen, als hätte er das schon tausendmal gemacht. Seine Atmung geht tief und gleichmäßig, sein Brustkorb ist gewölbt wie der eines Hahns, er schaut nach oben zur linken Hand.
Sina nickt zufrieden, während sie uns anderen Anweisungen erteilt:
»Die Finger spreizen, die Schultern in einer Linie, den Nacken weich halten, den Rücken breit, die Oberschenkel weiter nach hinten und die Fersen fest in den Boden drücken.«
Ich versuche, mich
Weitere Kostenlose Bücher