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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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erste Hilfe leisten kann, aber ich bestehe auf meine Revanche. Also bitte ich Thomas, mir als Knappe zu assistieren und beim Anlegen der Rüstung zu helfen. Währenddessen schläft Jay ein. Thomas schlägt vor, ihn hier auf dem Konferenztisch liegen zu lassen, schließlich könne ihm ja in der Rüstung nichts passieren. Aber das geht auf gar keinen Fall: »Wir sind jetzt ein Team!«, erkläre ich mit schwerer Zunge. Thomas nickt; wir wuchten Jay auf einen Servierwagen und schieben ihn auf sein Zimmer.
    Im Flur kommt uns Jessica entgegen. Schnell klappe ich mein Visier herunter. Aber sie erkennt mich trotzdem. Jessica fragt nicht, wer in der anderen Rüstung steckt oder warum meine Hand blutet, sie will nur wissen, ob wir Ben gesehen haben. Er habe sie angerufen, wisse nicht, wo er sei, um ihn herum sei es dunkel und eng. »Ich habe ihn zuletzt auf der Rückfahrt gesehen«, meint Thomas. »Er musste sich übergeben und ist aufs Busklo gegangen.«
    »Ist er da auch wieder rausgekommen?«, will Jessica wissen.
    Ich wähle Georgious Papadopulos’ Nummer, aber der geht nicht ans Telefon. Also ruft Jessica ein Taxi. Der Fahrer lässt sich vorab bezahlen, und ich muss das Schwert im Kofferraum deponieren.
    Der Bus steht vor dem Club, aber es ist niemand mehr da. Wir rufen Ben an. Der geht nicht mehr dran. Jessica scheint ernsthaft besorgt, lässt sich aber trotzdem nicht in den Arm nehmen. Mit dem Schwert breche ich erst den Bus und dann das Klo auf. Ben sieht, nun ja, zum Kotzen aus. Er muss sich bis auf die Unterhose ausziehen, damit der Taxifahrer ihn überhaupt mit zurück zum Schloss nimmt. So fahren wir dem Sonnenaufgang entgegen: die Assistentin meines Vaters, ein Ritter, ein bekiffter Nerd und ein nackter, übelriechender Familienvater. Ich hatte mir Consulting-Events spießiger vorgestellt.
    Als wir am Schloss ankommen, geht bereits die Sonne auf. Jessica sieht müde aus, deshalb biete ich an, sie auf mein Zimmer zu bringen. Wieder lehnt sie mit einem Lächeln ab und wünscht uns eine Gute Nacht. Dann legt sie mir eine Hand um den Nacken, ihre Lippen nähern sich meinen, und sie flüstert: »Kommt nicht zu spät zu meinem Kurs. Wer feiern kann, kann auch arbeiten.«

Transformationsprozesse
    Von wegen.
    »Mein Name ist Sina, ich leite dieses Seminar heute mit Jessica zusammen«, sagt eine Frau, die aussieht wie Pippi Langstrumpf Anfang dreißig. Sie sitzt in einem Kreis von etwa vierzig schwer verkaterten Anwärtern in Jogginganzügen. Die Hälfte von uns trägt dunkle Sonnenbrillen. Jeder hockt, kniet oder liegt auf einer hellblauen Yogamatte, neben oder auf fliederfarbenen Kissenrollen. Jay, Ben und Thomas sehen genauso kreidebleich aus wie ich, wobei es bei Jay am meisten auffällt. Von Jessica ist weit und breit keine Spur zu sehen, genauso wenig wie vom Großteil derjenigen, die gestern mit uns im Club waren, wie zum Beispiel Greg und Money. Nanni dagegen ist die Erste gewesen. Ich bin auch nur hier, weil ich insgeheim hoffte, mir mit meinem Einsatz gestern Abend vielleicht eine Tantra-Yoga-Massage verdient zu haben. Das muss ich jetzt wohl alleine erledigen.
    Der Yogaraum erinnert an eine Mischung aus Schrein, Interieurmuseum und Meditationsraum, vollgestellt mit Orchideen, silbernen Buddhaköpfen und Klangschalen. Am auffälligsten aber ist diese Sina, die viel zu gesund aussieht, um echt zu sein.
    »Wir können noch nicht anfangen«, sage ich. »Jessica fehlt noch.«
    Sina betrachtet mich aufmerksam.
    »Gut erkannt. Sie kommt etwas später. Das gibt Ihnen gleich die Gelegenheit, mit einer wichtigen Lektion zu beginnen: Geduld.« Sie sieht sich um: »Wer von Ihnen weiß denn schon etwas über Yoga?«
    Ich grinse spöttisch. »Da sitzen alle im Kreis, zünden Räucherstäbchen an und klemmen sich zu Hippiemusik die Beine hinter den Kopf.«
    Sina lächelt mich an, wie man ein dummes kleines Kind anlächelt. »Ja, das ist das klassische Vorurteil. Aber bei uns läuft das anders. Normalerweise übernimmt Jessica den Theorieteil und mein Lehrer die praktischen Yogaübungen. Da Jessica noch nicht da ist, fangen wir am besten schon mal mit der Theorie an . . .«
    »Und da dein Lehrer nicht da ist, lassen wir das mit der Praxis am besten ganz«, entgegne ich. Normalerweise bin ich ja nicht so zickig, aber irgendetwas an dieser Frau fordert mich heraus. Sie ruht so dermaßen in sich, dass man nur neidisch werden kann. Bei ihr scheint einfach alles im Lot zu sein – eine wandelnde Provokation für einen Chaoten

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