Heldenstellung
genau so hinzustellen, wie sie gesagt hat. Aber das ist gar nicht so einfach – vor allem, weil sie ständig neue Anweisungen erteilt. Es ist unmöglich, auf alles gleichzeitig zu achten. Nicht nur für mich: Thomas’ Kopf läuft knallrot an. Sina bittet ihn, seinen Ausfallschritt zu verkleinern und sich erstmal nur auf die Beine zu konzentrieren. Worauf denn sonst? Auf seine Ohren?
»Sie müssen nicht immer über Ihre Grenzen hinausgehen, sondern sie erst mal wiederfinden.«
Das habe ich bisher immer genau andersherum gemacht. Als Sina neben mir steht, schlägt sie die Hände zusammen:
»So etwas habe ich ja noch nie gesehen.« Gegen meinen Willen fühle ich mich geschmeichelt. »Würden Sie kurz mein Modell sein?«, fragt sie.
»Wenn es sein muss«, knurre ich.
Sina bittet die anderen, sich in einem Kreis um uns zu versammeln.
»Dieser junge Kollege ist ein Musterbeispiel für alles, was man falsch machen kann. Seht her.« Nun dekliniert sie von den Händen bis zu den Füßen, von vorn nach hinten durch, was an meiner Pose alles nicht stimmt: Knie nicht durchgedrückt, Rücken krumm, Flanke zu weit vorn, Arm zu weit hinten . . . Völlig klar, das ist die Rache für meine Stänkereien, jetzt putzt sie mich vor versammelter Mannschaft herunter.
»Bitte noch die Kniescheiben richtig hochziehen«, sagt sie. Weil mich alle anstarren, versuche ich, die Beine zu strecken. Sina steht hinter mir und stützt mich. Plötzlich merke ich, dass mein Atem tiefer geht. Seltsam. Es ist gar nicht mehr so schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren, vielmehr scheint sich mein Körper gerade wie von selbst ins Lot zu rücken.
»So, jetzt noch den linken Arm ganz gerade nach oben strecken.« Ich folge. Es fühlt sich an, als wäre mein Körper mit dem Boden verwurzelt. Andererseits ist es auch tierisch anstrengend, aber da mich alle anstarren, will ich mir keine Blöße geben.
»Sie machen das schon sehr gut«, lobt Sina, und ich strecke mich noch ein bisschen mehr in die Haltung.
»Jetzt nicht zu ehrgeizig werden«, mahnt sie – leider zu spät, denn ich verliere das Gleichgewicht, strauchle und falle mit durchgestreckten Beinen in einem perfekten Dreieck flach auf den Boden. Wie ein Maikäfer, der mal was Neues ausprobieren wollte, auf zwei Beinen balancierte und dann doch wieder auf dem Rücken gelandet ist.
»Kann es sein, dass Sie leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen sind?«, fragt Sina grinsend und streckt die Hand aus, um mir hochzuhelfen.
»Frechheit«, fahre ich sie an. »Und kann es sein, dass Sie gar keine echte Yogalehrerin sind?«
Sie räuspert sich kurz. Alles klar.
»Ich bin, wie gesagt, Pädagogin und übe schon sehr lange Yoga.«
»Sind Sie nun eine zertifizierte Yogalehrerin oder nicht?«
Sie atmet tief ein und lächelt entschuldigend. »Meine Prüfung ist erst in drei Monaten. Das hier war ein Notfall.«
»Also sind Sie noch keine echte Yogalehrerin«, bohre ich nach, froh, dass ich nicht mehr als Fallobst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe oder liege.
»Normalerweise übernimmt mein Lehrer die Managerseminare. Aber er ist krank, liegt mit einer fetten Bronchitis im Bett. Damit sollte man kein Yoga üben.«
»So ein Pech für uns«, ätze ich. »Können wir eine kurze Pause machen?«
Alle sind mehr als einverstanden und trollen sich zu dem kleinen Obst- und Teebüfett am Eingang, möglichst weit von mir entfernt. Nur Sina bleibt auf der Stelle stehen und mustert mich mit verschränkten Armen.
»Was soll das?«
Ich zucke mit den Achseln: »Was soll was?«
»Sie stellen meine Autorität infrage.«
»Ich habe eben keine Lust auf Yoga.«
Sinas Stirn kräuselt sich, die Sommersprossen ziehen sich zu einem Sturm zusammen.
»Glauben Sie, ich habe Lust auf Unternehmensberater?«
Ich muss grinsen.
»Was gibt es denn da zu lachen?«, faucht sie.
»Für eine Yogalehrerin sind Sie aber ganz schön aggressiv. Ach, nee, hatte ich vergessen, Sie sind ja noch gar keine . . .«, beginne ich, da fliegt mir eine der Sitzrollen an den Kopf. Ich bin baff. Sowas hat seit der Grundschule niemand mehr gemacht.
»Sie haben ein Aggressionsproblem. Sie sollten . . .«
»Yoga machen?«, führt sie meinen Satz zu Ende. »Das will ich ja, aber Sie stören ständig.«
»Sie können Ihre Teilnehmer nicht mit Kissenrollen bewerfen. Wir sind hier nicht im Kindergarten«, sage ich und werfe die Kissenrolle zurück.
Sina fängt sie auf. »Warum benehmen Sie sich dann, als wären wir im
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