Heldenstellung
wie mich.
»Sind Sie denn überhaupt eine richtige Yogalehrerin?«
Sina macht ein ertapptes Gesicht.
»Ich bin Seminarleiterin«, stellt sie fest und ergänzt: »Jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie hier entweder mitmachen oder den Raum verlassen würden. Ich will ja auch nicht Ihr Abizeugnis sehen.«
Erstaunlich resolut für so eine Esoterik-Tante. Aber so schnell lasse ich mich nicht einschüchtern. Nicht mal mit dem drittstärksten Kater meines Lebens. »Eine Frage noch, Frau Seminarleiterin.«
Sina schaut mich an.
»Ich dachte, Yoga sei ein Frauensport?«
Jay hebt die Hand und schüttelt den Kopf: »Ursprünglich war es ein Männersport«, weist er mich müde zurecht. Verräter. Ich werde sofort den alten »Ein Herz für Inder«-Sticker von Errors Wagen kratzen.
Sina lächelt Jay dankbar an. »Sie sehen alle noch etwas müde aus, wahrscheinlich arbeiten Sie viel im Sitzen.«
Die letzte Phrase habe ich von Orthopäden und Krankengymnasten häufiger gehört als die Frage nach einer privaten Zusatzversicherung. Und nie sagt jemand: »Nein, ich arbeite viel im Liegen« oder »Also, ich arbeite sehr viel in der Grätsche.« Auch jetzt nicht. Hanni, die offenbar gestern früh ins Bett gegangen ist, nickt euphorisch.
»Machen Sie nun mit oder nicht?«, fragt Sina mich.
»Neee, ist lieb gemeint, danke, aber ich bin leider überhaupt nicht gelenkig.«
Sie schaut mich an wie einen kleinen Jungen, der gerade etwas sehr Dummes von sich gegeben hat: »Das ist so, als wenn Sie sagen würden, Sie wollten nicht in ein Restaurant gehen, weil Sie hungrig sind. Denn Sie machen Yoga doch, um gelenkig zu werden.« Sie lächelt, als habe sie gerade einen großen Sieg errungen.
»Das Bild ist schief«, erkläre ich. »Ich gehe ja nicht ins Restaurant, um hungrig zu werden.« Leider klingelt mein Handy, bevor ich den Triumph ausgiebig genießen kann. Kaum einer der Anwärter reagiert, schließlich gehören Handys zu ihrem täglichen Leben. Nur Sina zuckt zusammen und starrt mich böse an. Ich werfe einen Blick auf das Display: mein Vater.
»Da muss ich jetzt ran «, sage ich. »Das ist der Chef, der zahlt auch Ihr Gehalt.« Ich drücke die Taste mit dem grünen Hörer.
»Hi, Dad!«
»Ich wundere mich, dass du noch gar nicht angerufen und um Hilfe gebeten . . .« Weiter kommt er nicht.
Ehe ich mich versehe, hat mir Sina das Handy aus der Hand gerissen. »Er ruft Sie in einer halben Stunde zurück«, sagt sie, ohne den Blick von mir zu nehmen, und beendet das Gespräch. Mit spitzen Fingern legt sie das Handy auf eine kleine Steinstufe.
»So, jetzt schalten bitte alle ihre Mobiltelefone aus und legen sie hier ab. Erstens sind wir in einem Seminar, das in Ihre Bewertung einfließen wird . . .« Sie wirft mir einen bösen Blick zu, »und zweitens habe ich eine Allergie gegen Handystrahlen.«
Genau. Und ich habe eine Allergie gegen eingebildete Allergien.
Doch Thomas hat sein Handy bereits aus der Tasche gezogen, und Ben kramt in seiner Jogginghose, hat aber offenbar gar keins dabei. Jay legt seins gerade ab.
Sina sieht mich an. »So, und nun zum Thema Work, Life & Balance und zu meiner Qualifikation.« Sie lächelt in die Runde. »Ich vergesse manchmal, dass man in der Consultingbranche sehr viel Wert auf Zeugnisse legt. Gestern Nacht hat mich Jessica angerufen und mich gebeten, dieses Seminar zu übernehmen. Ich bin Diplom-Pädagogin und arbeite seit vier Jahren in der Erwachsenenbildung, hauptsächlich mit Managern, die unter Burn-out-Symptomen leiden oder denen es an emotionaler Intelligenz mangelt.«
Wieder ein Seitenblick zu mir. Oh Gott, und ich dachte immer, diese Yogaleute seien friedfertig. Sina erzählt uns von ihren Fortbildungen und ihren Indienaufenthalten. Dann kommt sie wieder auf mich zu sprechen.
»Vielleicht sollten Sie mal Ihre Vorurteile ablegen. Sie stehen am Anfang Ihrer Karriere und werden im Laufe Ihres Berufslebens noch genug Stress haben, da brauchen Sie einen Ausgleich. Echte Alphamänner haben heute vor nichts mehr Angst – außer vielleicht vor Yoga. Denn da müssen sie nicht ihre Grenzen überschreiten, sondern sie erst mal finden – was Männern generell schwerfällt«, sagt sie mit erneutem Seitenblick zu mir. »Männer sind ja am liebsten Helden.«
»Lassen Sie bloß die Helden aus dem Spiel. Batman hatte nie Yoga nötig. Okay, bei Superman bin ich mir nicht so sicher. Aber wenn die ihr Ego in den Griff gekriegt hätten, wäre die Welt untergegangen.«
Sina
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