Heldenstellung
hat.
Die schließt die Tür und verkündet, dass ihr Lehrer, der eigentlich die Stunde geben sollte, immer noch krank sei. Aus der Bronchitis sei eine Lungenentzündung geworden. Die versuche er nun mit »Pranayama« zu bekämpfen. Wahrscheinlich eine Art indisches Antibiotikum. Außerdem hat er eine leichte Gehirnerschütterung. Letztere käme allerdings nicht vom vielen Shirshasana-Üben. Verstehe kein Wort. Error dagegen nickt so eifrig, als gehörten diese Begriffe schon sein Leben lang zu seinem bevorzugten Wortschatz.
»Pranayama ist eine Atemtechnik und Shirshasana der Kopfstand«, erklärt mir Jessica flüsternd. Daraufhin sagt Sina, wenn wir weiter so viel tuschelten, müsse sie uns auseinandersetzen. Als Nächstes fragt sie, wer seine Periode habe, und verordnet den betreffenden Frauen ein »Schonprogramm«. Also doch alles genau wie früher im Sportunterricht.
Dann setzen wir uns in den Schneidersitz und schließen die Augen. Ich blinzle ein bisschen durch die Wimpern, sicherheitshalber. Nach einer Weile macht Sina mit überraschend tiefer Stimme: »Ommmm«. Ich dachte immer, das sei ein Scherz. Aber da bin ich wohl der Einzige, denn nach und nach stimmen alle anderen ein, bis es wie ein entspannter Killerbienenschwarm klingt. Selbst von Error dröhnt ein kehliges Röhren herüber, das mich sehr an Lemmy von Motörhead erinnert. Jetzt würde es niemand sehen, wenn ich abhaue, aber irgendetwas lässt mich zögern. Klar, ich bin wegen Jessica und wegen Error hier, aber ein bisschen auch wegen mir.
Nach dem dritten »Om« ist die Chance eh vertan, weil alle die Augen wieder öffnen.
»Was hat euch denn in letzter Zeit so bewegt?«, fragt Sina in die Runde. Ich sehe zu Error, der nur die Lippen aufeinanderpresst. Auch keiner von den anderen Teilnehmern meldet sich zu Wort. Sina lässt etwas Zeit verstreichen, lächelt gütig und wird zurück angelächelt.
Dann höre ich meinen Mund sagen: »Also, ich muss dringend Erfolg haben, aber mir fällt nichts ein.«
Error sieht mich erstaunt an. Diesmal bin ich es, der die Hand auf den Mund presst. Wie peinlich! Jetzt drehen sich die Blicke nach und nach von mir zurück zu Sina. Die greift zur Seite, nimmt ihr schlaues Büchlein in die Hand und blättert. Nach einer Weile sieht sie hoch und sagt: »Wenn die Emotion stimmt, kann man Erfolg haben.«
»Wer hat das gesagt«, will ich wissen. »Osho, Gandhi, Mutter Teresa?«
Sina klappt das Buch zusammen. »Sylvester Stallone.«
»So ist es«, meldet sich eine ältere Teilnehmerin. »Ich war mit meinem ersten Beruf als Bankkauffrau überhaupt nicht glücklich. Jetzt bin ich Kindererzieherin, und seitdem geht es mir viel besser.«
»Seltsam«, sage ich. »Bei mir ist es genau andersherum.«
Die anderen Leute nicken mir aufmunternd zu. Während sich Berater unterschiedlicher Meinungen leidenschaftlich zerfetzen, herrscht hier offenbar noch wahre Basisdemokratie.
»Na, dann wollen wir euch mal in euer emotionales Gleichgewicht bringen«, sagt Sina. Zuerst sollen wir »in den Hund gehen«. Sofort krabbeln die Yogis hier auf alle viere und strecken sich dann wie Satan, wenn er aufwacht. Die Leute um mich herum sehen erstaunlich gelenkig aus. Sina schaut mich auffordernd an.
»Wollen wir uns nicht erst mal aufwärmen?«, frage ich. »Ein bisschen laufen, ein paar Liegestütze? Vielleicht Zirkeltraining?«
»Ihnen wird schon noch warm«, verspricht Sina. Also mache ich es den anderen nach. Sina geht durch den Raum und verbessert die Haltungen. Wir sollen die »Oberschenkel nach innen drehen«, »die Wirbelsäule auch nach innen bringen«, »die Unterschenkel nach hinten«, »Daumen- und Zeigefingerwurzel fest auf den Boden pressen« und »den Nacken entspannen«. Klingt stressig.
Was wir alles richtig machen, erwähnt sie nicht.
In meinem Kopf ist kaum Platz, um mir all das zu merken. Dort hat sich vor allem eine Anweisung breitgemacht, und die stammt nicht von Sina, sondern von meinem Vater: »In zwei Wochen ist die Präsentation! Lass dir was einfallen, das Khamroff überzeugt!«
Als ich gerade in der Hundestellung darüber nachgrüble, was diesen Waffenhändler wohl emotional dazu bringen könnte, uns den Auftrag zu geben, steht plötzlich Sina neben mir.
»Leeren Sie Ihre Schale!«, sagt sie leise und legt mir die Hand auf den Kopf. »Sie sind in Gedanken ganz woanders. Machen Sie sich nicht so einen Stress. Leeren Sie Ihre Schale.«
»Meine Schale leeren? Was für eine Schale?«
Sinas Lächeln ist
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