Heldenstellung
schon in der Grundschule funktioniert. Sie wird mir ja wohl kaum vorschlagen, in Unterhose zu turnen. Sina verschwindet in Richtung Empfangstresen. Während sie dort wühlt, zischt mir Error zu, er werde mir die Freundschaft kündigen, sofort sein Auto zurückfordern und mich wegen Tierquälerei bei der Polizei anzeigen, wenn ich ihn ausgerechnet jetzt, da er endlich seine Traumfrau gefunden hat, alleinließe:
»Du bist damals einfach nach Berlin abgehauen. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich war stocksauer. Wenn du mich jetzt wieder im Stich lässt, kannst du unsere Freundschaft vergessen.«
Er hat ja recht. Ich seufze und schaue Sina an, die mit zwei Stofflappen in Rot und Gelb wieder aufgetaucht ist.
»Das sind unsere Studiosachen. Keine Angst, die werden regelmäßig gewaschen.« Sie hält mir das Zeug hin, und ich denke, dass »regelmäßig« völlig relativ ist. Aber Sina grinst fröhlich: »So leicht lasse ich keinen Fisch von der Angel, der schon angebissen hat. Nicht mal einen Haifisch.«
Error legt mir die Hand um die Schulter. »Fische, die bellen beißen nicht.« Er lächelt Sina treuherzig an.
»Also, ich habe jetzt so richtig Lust auf Yoga bekommen.«
Für seine Verhältnisse kommt das einem Heiratsantrag gleich.
Widerwillig falte ich die Filzlappen auseinander: ein gelbes T-Shirt, gebatikt. Ich dachte, diese Kulturtechnik sei in den Neunzigern am Strand von Ibiza ausgestorben? Die Hosen sind noch schlimmer. Sie erinnern an eine filzige Mischung aus Feinripp-Slips und Oma-Unterwäsche. Sicherheitshalber rieche ich noch mal am Stoff: Ein Duftblitz aus Patschuli, Jasmin und Mottenkugelgestank sticht mir direkt in den dafür zuständigen Teil meines Gehirns. Der Zwei-Meter-Schlacks neben mir trägt genau die gleichen Exemplare in Moosgrün. Er nickt mir aufmunternd zu.
»Das sind ja Hotpants«, bemerke ich. Wahrscheinlich sind sie sogar kürzer als die Boxershorts, die ich heute trage.
»Ich muss doch sehen können, wie Sie Ihr Bein ausrichten«, erklärt mir Sina. »Wenn Sie sich unwohl fühlen, können Sie sich gern in unserem Ashram umziehen«, sagt sie und deutet auf eine große, mit indischen Ornamenten verzierte Decke aus golden-buntem Stoff, die von der Decke hängt und eine Ecke des Raums vor neugierigen Blicken abschirmt.
»Es ist natürlich kein echter Ashram, aber manche Leute bevorzugen beim Umziehen etwas Privatsphäre. Könnte ja sein, dass Sie irgendwelche Handicaps haben – was völlig okay wäre.«
»Ich habe aber keine Handicaps.«
»Gut, dann beeilen Sie sich bitte ein bisschen. Jessica hat Ihnen schon eine Matte hingelegt.« Sie zieht vielversprechend die Augenbrauen hoch, als würde sich Jessica hinter der Tür in einem überdimensionalen Champagnerglas räkeln.
»Bin gleich da«, seufze ich und bedeute ihr, schon einmal reinzugehen. Widerwillig schlüpfe ich in die Filzhöschen. Offenbar werde ich tatsächlich dick – oder es sind einfach Frauensachen. Denn sie sitzen nicht nur knalleng, sondern sind am Bein auch kürzer als meine Boxershorts, so dass die nun darunter hervorschauen. Ich kremple meine Boxershorts bis zum Ansatz hoch. Was tut man nicht alles für einen Freund? Dann schlüpfe ich in das Höschen. Die Gummibänder schnüren mir in den Oberschenkel, der Stoff spannt über dem Po wie eine italienische Badehose. Als ich aus der Umkleide herauskomme, sieht Sina meinen verzweifelten Blick und legt mir beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Supermans Hosen hatten den gleichen Schnitt«, spöttelt sie.
»Was wissen Sie schon von Helden?«, murmle ich, während ich versuche, den knappen Stoff über meine Oberschenkel zu stretchen. Vergeblich.
Sina grinst. »Ich weiß, wie die Heldenstellung geht.«
Als wir den Übungsraum betreten, murmelt Error:
»Na dann, Hals- und Beinbruch.« Wenn ich mir die Bilder der verknoteten Yogaposen hier so ansehe, könnte genau das wirklich passieren. Die Teilnehmer stehen schon auf allen vieren oder auf dem Kopf, drücken ihre Beine gegen die Wand und in die Baumwollgurte. Die meisten Frauen liegen mit überkreuzten Beinen auf dem Rücken, als wären sie im Schneidersitz weggedöst und nach hinten gekippt.
Jessica winkt uns zu sich herüber. Neben ihr liegen zwei anthrazitfarbene Yogamatten, zwei Nylongurte, vier laminierte Styroporklötze, zwei metergroße Kissenwürste und zwei Decken. Erinnert an eine Mischung aus Spielzimmer und Folterkammer. Ich setze mich zwischen Jessica und Error, der nur Augen für Sina
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