Heldenstellung
unerschütterlich: »Ihren Kopf, Ihre Hirnschale, wenn Sie so wollen«, sagt sie und streicht mir doch tatsächlich über den Hinterkopf, als hätten wir uns nie angezickt.
Immer wenn Sina den indischen Namen der nächsten Stellung ansagt, gleitet Jessica anmutig in Position. Error dagegen hat einen hochroten Kopf. Unter den Achseln und am Rücken hat der Schweiß sein grau verwaschenes Shirt bereits dunkel gefärbt. Ich fürchte, mein Batikshirt sieht genauso aus. Wahrscheinlich ist das hier dieses Schwitzyoga, davon habe ich in Berlin schon mal gehört.
Als Error im Stehen mit durchgestreckten Beinen den Boden nicht mit den Händen berühren kann, stellt Sina so viele Klötze darunter, dass er den obersten bequem erreicht. Er lächelt ihr dankbar zu. Als er kurz darauf in der Hundestellung einen Buckel macht, drückt sie den behutsam in die Wirbelsäule zurück. Dabei stöhnt Error auf. Ich merke mir diesen Moment. Sollte ich ihr Trauzeuge werden, dann erwähne ich das hier als erste, lustvolle Berührung.
»Es geht hier darum, die eigenen Grenzen zu erkennen und bewusst mit ihnen umzugehen. Wer zu ehrgeizig ist, hat den Sinn von Yoga nicht verstanden, außerdem kann man sich wehtun, wenn man zu viel auf einmal will«, meint Sina. »Nehmt lieber mehr Hilfsmittel und steht richtig in der Asana, als dass ihr zu wenig Unterlagen nehmt und euch verletzt.«
Error hängt an ihren Lippen.
Ach ja, die Khamroff-Unterlagen. Die liegen ja noch in der Agentur. Vielleicht sollte ich sie gleich noch holen und sie heute Nacht durchsehen?
»Frederick, leeren Sie Ihre Schale.«
Ein paar Übungen später liegen wir alle auf dem Rücken, sollen unser Bein hochstrecken und dabei »die Fußsohlen öffnen«. Ein anderer Teilnehmer soll kontrollieren, ob das Bein ganz durchgestreckt und der Fuß gerade ist. Ich mache die Übung mit Jessica, weil Errors Beine von Sina mit Gurten zusammengebunden wurden. Sina geht umher und kontrolliert. Als sie bei mir ist, will ich ihr beweisen, dass man gar nicht so viele Hilfsmittel braucht, und strecke den Fuß ohne Seil nach oben. In dem Moment höre ich die Naht meiner Yogahose reißen.
Jessica blickt mit großen Augen zu mir herüber. Ich nicke ihr zu.
»Meine Bänder«, sage ich. »Klingt schlimmer, als es ist.«
Zwei Übungen später sitzen wir mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und sollen uns vornüberbeugen. Dabei entdecke ich den Riss in meiner Yogahose: direkt am rechten Oberschenkelbündchen, das nun den Blick auf meine Boxershorts freigibt. Oder besser gesagt: auf meine Kronjuwelen. Erschrocken sehe ich hoch. Und blicke direkt in Sinas Augen.
»Das hier ist kein Tantrakurs«, sagt sie grinsend. Gegen meinen Willen erröte ich, murmele eine Entschuldigung.
»Wenn eure Schultern nach vorne rollen, seid ihr in Gedanken nicht bei euch und der Übung«, ermahnt uns Sina. Schnell bedecke ich meine Blöße mit dem Batikshirt und ziehe die Schultern zurück.
Zum Abschluss sollen wir uns auf den Kopf stellen. Sina empfiehlt Error, lieber noch mal den Hund zu üben. Er ist sofort einverstanden. Mir rät sie, erst mal einen halben Kopfstand an der Wand zu machen. Aber ich bin kein Mann für halbe Sachen. Gut, nach fast eineinhalb Stunden Yoga bin ich schon ein bisschen erschöpft, aber einen Kopfstand werde ich wohl noch hinkriegen. Schließlich war ich früher im Kinderturnen ein As.
Sina drückt nun erneut Errors Buckel in den Körper. Jessica ragt längst kerzengerade neben mir empor, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Ellenbogen hält sie schulterbreit auseinander. Wäre ja gelacht, wenn ich das nicht auch hinkriege. Dass die anderen Yogis hier an die Wand gelehnt üben, stört mich nicht. Ich werde es wie Jessica machen: frei wie ein Vogel.
Während Sina mit Error beschäftigt ist, gehe ich in den Vierfüßlerstand: Wie die anderen lege ich die Hände hinter den Kopf auf den Boden und stemme mein Gesäß hoch. Eins, zwei, drei und hopp! Schon schwinge ich wie früher beim Kinderturnen ein Bein beherzt in die Luft. Auf halbem Weg höre ich Sina neben mir »Stopp!« rufen, aber da habe ich schon das zweite Bein hinterhergeschwungen. Leider zieht es am anderen vorbei. Ich kann das Gleichgewicht kaum halten. Bevor mich Sina stützen kann, merke ich schon, wie ich die Balance verliere und schräg auf Jessica krache.
Wie ein Dominostein den anderen reiße ich sie zu Boden.
»Ist alles in Ordnung?«, ruft Sina und hilft zuerst Jessica hoch. Die lacht nur und winkt ab:
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