Heldenstellung
sondern fängt gleich wieder an, weiter über den Yoga-Event nachzudenken. Sie spricht von Ayurveda-Kursen, von Flow-Yoga, ja sogar von Tantra.
Irgendwann schaut sie auf die Uhr. »Ich lege mich jetzt mal hin«, sagt sie. Sofort stehe ich auf. Auch wenn der Gedanke, jetzt im Yogahöschen durch die Stadt zu laufen, mich nicht sonderlich reizt, weiß ich, dass die Zeit des Abschieds gekommen ist. »Meine Klamotten sind noch nass, kann ich mir die hier leihen?«
Sie nickt und sagt ganz beiläufig, als wäre es das Normalste auf der Welt:
»Du kannst aber auch hier übernachten. Ist vielleicht sicherer, für den Fall, dass sich dein Zustand noch mal verschlechtert. Laut Notarzt-Order darf ich dich ja nicht aus den Augen lassen. Nicht, dass mich dein Vater am Ende noch verklagt wegen unterlassener Hilfeleistung.« Sie zeigt auf ein Futonsofa am anderen Ende ihres Zimmers. Ich lege mich auf die Matratze und merke erst jetzt, wie müde ich bin.
Mitten in der Nacht wache ich auf, weil mir der Ingwertee auf die Blase drückt. Ich schlage die Bettdecke zurück und schleiche den Gang hinunter. Mit der traumwandlerischen Sicherheit, die mir die Erfahrung etlicher One-Night-Stands beschert hat, finde ich auch sofort das Badezimmer. Nur kann ich den Lichtschalter nirgends entdecken. Egal, es geht auch so. Als ich das Bad wieder verlasse, renne ich frontal in einen anderen Mann, der gerade durch die Tür kommt. Der schreit auf, ich springe zurück. Im Gegensatz zu mir war er wohl schon mal hier, denn er findet den Lichtschalter sofort. Meine Augen müssen sich eine Sekunde an die Helligkeit gewöhnen.
Vor mir steht Hari. Er starrt mich an und schreit, als sei ich der Elefantenmensch persönlich. Ich werfe einen Blick in den Badezimmerspiegel: Tatsächlich, ich bin immer noch total verschwollen. Wie hat es Sina bloß die letzten Stunden ausgehalten, ohne laut zu lachen? Und was hat Hari hier zu suchen? Gehört zur Yogalehrer-Ausbildung etwa eine Rundumüberwachung? Das ist ja schlimmer als in den Kung-Fu-Filmen!
Hari starrt mich entsetzt an. Erst jetzt wird mir bewusst, dass wir beide nur Filzhöschen tragen. »Frederick? Bist du das?«, fragt er.
»Nein, ich bin Ganesha, der indische Elefantengott, nur versehentlich im falschen Körper wiedergeboren.«
»Wohl eher in der falschen Wohnung!«, sagt Hari, und das gewohnte Grinsen kehrt auf seine Lippen zurück. Aber sofort legt er die Hände wieder auf seinen Bauch.
»Was machst du denn hier?«, will ich wissen.
»Ich muss aufs Klo«, presst er heraus. »Habe das Curry nicht vertragen.« Sofort gebe ich den Weg frei, und er schlägt die Klotür hinter sich zu. Daran hängt ein Strichmännchen-Plakat. Das oberste zeigt eine Figur, die im Stehen uriniert. Sie ist rot umkreist und durchgestrichen. Darunter sehe ich einen Mann, der in der Hundestellung pinkelt und dabei die Toilette zwischen den Beinen hat. Die Stellung ist offenbar erlaubt. Pinkeln in der Baumhaltung dagegen ist verboten, ebenso wie Drehhaltungen. Rückwärtsbeugen stehen gar nicht erst drauf.
Auf dem Weg zurück in Sinas Zimmer komme ich darauf, dass es eigentlich nur eine Lösung für Haris Erscheinen in der Wohnung gibt: Die beiden sind ein Paar. Wahrscheinlich wollte mich Sina deshalb nicht küssen. Oje! Erst fahre ich ihn an, dann ertappt mich ihr Kerl auch noch bei sich zuhause. Vorsichtig wecke ich Sina und erzähle ihr von der Begegnung. »So ein Mist!«, sagt sie, dann steht Hari auch schon in der Tür.
Sina senkt den Blick. »Wir haben uns bei ihm Der atmende Gott angeschaut und wollten dann noch ein bisschen über die Grundlagen des Yoga reden . . .«
Hari unterbricht sie mit einer waagerechten Handbewegung, die die Luft vor ihm in der Mitte zerteilt.
»Es reicht mir, mein Fräulein. Auch wenn du Mitte zwanzig bist und offiziell erwachsen, solange du deine Füße auf meiner Matte . . .«, beginnt er.
Ich kapiere endlich: Hari ist Sinas Vater!
»Du wohnst noch bei deinem Vater?«, frage ich sie erstaunt.
»Du doch auch!«
In dem Moment macht Haris Magen ein Geräusch, das mich eher an einen Kampfschrei als an ein Om erinnert.
Eine halbe Stunde später sitzen wir zu dritt in der Küche, und Hari macht mir klar, dass er ein sehr toleranter Mensch sei und kein Problem damit hätte, wenn Sina einen Punk, einen Hippie oder meinetwegen auch einen Clown mit nach Hause bringen würde. »Aber ein Unternehmensberater ist selbst für einen flexiblen Menschen wie mich zu viel.«
Wenn ich mich
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