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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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alles irgendwie aus mir herausgebrochen«, erzählt Error. »Dein Vater meinte, wenn ich die richtige Frau gefunden hätte, müsste ich alles für sie in die Waagschale werfen.«
    Das ist wieder typisch. Mein Vater hat mich und Sina gesehen und sofort Gefahr gewittert.
    »Ist das falsch?«, fragt Error so unschuldig wie ein Kind, nachdem es das Gänseblümchenspiel »Sie-liebt-mich, Sie-liebt-mich-nicht« mit Schmetterlingsflügeln gespielt hat. Am liebsten würde ich laut und deutlich »Ja« rufen. Aber ich bringe es nicht übers Herz und nehme meinen Freund in den Arm.
    »Nein, meinen Segen hast du, Error. Das ist eine tolle Idee«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Und mach dir keine Sorgen um Hari. Er ist kein Konkurrent, er ist ihr Vater.«
    Error macht vor Freude die Beckerfaust.
    »Ich räume jetzt mein Leben auf. Mit Sina wird alles besser.« Bestätigend klopfe ich ihm auf den Rücken.
    »Wann willst du ihr den Ring denn geben?«
    Error sieht mich ratlos an. »Keine Ahnung.«
    Wieder dieser Kinderblick.
    Dann sage ich das Bescheuertste, was ich in letzter Zeit so gesagt habe: »Ich kann ja mal für dich vorfühlen.«
    Damit wäre die Angelegenheit also entschieden. Der Case Sina wird beim nächsten Meeting abgeschlossen.
    Einen Smoothie später fahre ich zum Fitness-Studio. Meine Stimmung ist niedriger als der Ölpegel in Errors altem Benz. Um mich abzulenken, krame ich eine Kassette aus dem Handschuhfach. »RM« steht da mit krakeliger Schrift auf das Tape gekritzelt. Wahrscheinlich »Rapid Metal« oder »Rough Metal«. Ich lege sie ein. Kurz darauf höre ich die ersten zarten Gitarrenklänge eines alten Firehouse-Hits. Der Refrain steckt voller Pathos: »I finally found the love of a lifetime – a love to last my whole life through!« Wohl eher »romantic« als »rough«. Ich schmeiße die Kassette aus dem Fenster und hoffe, dass irgendein grober Klotz drauftritt.
    An der nächsten Kreuzung bleibe ich kurz stehen und krame weiter im Handschuhfach. Eine alte Frau steigt ein. Sie hält einen Strauß roter Rosen in der Hand. Ein merkwürdiger Kontrast zu ihrer ansonsten schwarzen Kleidung.
    »Zum Kastanienfriedhof, junger Mann«, sagt sie. »Und machen Sie bitte die Musik leiser.«
    Ich zucke kurz zusammen. Dort liegt auch das Grab meiner Mutter. Eigentlich sollte ich die Frau darauf hinweisen, dass dies kein Taxi ist, aber ich habe noch eine Stunde Zeit bis zum Treffen mit Danilo. Und vielleicht sollte ich tatsächlich mal wieder den Friedhof besuchen. Sina würde jetzt sagen, dass das ein Zeichen ist.
    Die Oma nimmt hinter dem Beifahrersitz auf der Rückbank Platz.
    »Mein Mann ist vor zwanzig Jahren gestorben«, sagt sie leise, während ich in den Verkehr einschere. »Heute haben wir Hochzeitstag.« Die Frau erzählt, dass sie fünfzig Jahre verheiratet waren, bis der Tod sie schied. »Wie hält man das denn so lange aus?«, will ich wissen. Sie grinst.
    »Mit Humor. Sind Sie verheiratet?«
    Ich schüttle den Kopf. »Wussten Sie bei Ihrem Mann eigentlich auf den ersten Blick, dass er der Richtige ist?«
    Ein Lächeln huscht über ihr faltiges Gesicht. »Ja, das wusste ich sofort.« Sie erzählt, dass sie ihn in einem Laientheater kennengelernt habe. Er sei Schauspieler gewesen und habe zuvor noch nie auf der Bühne gestanden. Sie habe ihn aus der ersten Reihe einfach nur angeschaut. »Als sich unsere Blick trafen, hat er seinen Text vergessen«, erzählt sie leise, nimmt ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupft sich die Augenwinkel.
    »Es war Liebe auf den ersten Blick. Danach habe ich nie wieder einen anderen Mann gefunden, in zwanzig Jahren nicht.«
    »Glauben Sie wirklich, dass es nur eine große Liebe gibt?«, frage ich sie.
    Die Oma beugt sich über die Mittelkonsole nach vorn.
    »Nein, junger Mann. Ich glaube es nicht, ich weiß es. Und wenn man sie gefunden hat, dann spürt man es sofort.«
    Den Rest der Fahrt über redet sie kein Wort. Als sie aussteigt, lehne ich ihr Geld ab.
    Ich warte, bis sie im Friedhof verschwunden ist. Dann parke ich das Taxi. Noch eine knappe Stunde Zeit bis zu meinem Termin. Ich schaue zum Friedhof hinüber.
    Er sieht immer noch so aus, wie ich ihn in Erinnerung habe: Trauerweiden lassen ihre Zweige über die Wege hängen, Menschen gehen mit Blumen oder kleinen Schaufeln umher. Nach dem Tod meiner Mutter war ich jeden Tag hier, um ihr zu erzählen, was mir so alles passiert ist. An ihrem Grab habe ich mich ihr immer am nächsten gefühlt. Seit ich

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