Heldenstellung
weise und gelenkig Sinas Guruji auch sein mag, er hat einen unübersehbaren Bauch, genau wie mein Kumpel.
»Magst du Männer, an denen etwas mehr dran ist?«, frage ich Sina. Die Antwort ist ein »Scht«. Nach einer Weile sagt sie: »Ja, vor allem, wenn sich das ›etwas mehr‹ auf ihr Hirn bezieht.«
Ich räuspere mich. Nicht, weil ich mich ertappt fühle, sondern weil ich ein ganz schönes Kratzen im Hals habe. Da hilft sicher ein Schluck Bier. Oder auch nicht. Ich huste erst vorsichtig und breche dann in einen regelrechten Keuchanfall aus. Sina sieht mich erschrocken an. »Ist alles okay?«
Ich trinke noch einen Schluck Bier. »Alles bestens, kein Problem, danke«, stammle ich, aber das Kratzen will und will nicht verschwinden. Ich bekomme auch nicht mehr so gut Luft.
»Dieses Pranayama . . .«, beginne ich. Sina starrt mich an. »Hattest du schon die Masern?«
»Wie bitte?« Seltsamerweise höre ich gerade schwer.
»Du kriegst rote Flecken im Gesicht.«
Das erklärt, was da so juckt. »Ich . . .«, bringe ich noch heraus und versuche, vom Bett aufzustehen. Aber mir ist ein bisschen schwindlig.
»Du reagierst allergisch auf irgendwas«, sagt Sina.
»Wahrscheinlich die Strahlen vom Fernseher«, bringe ich heraus, denn meine Laune ist seltsamerweise gut. Vielleicht bin ich ein bisschen durcheinander.
»Leg dich hin!«, befiehlt Sina und baut mir einen Kissenturm unter die Beine. Dann wühlt sie in ihrer Tasche. »Ich habe hier irgendwo mein Allergie-Notfall-Set, vielleicht kann dir das helfen.« Das finde ich wirklich nett. Leider spüre ich nun, wie sich mein Magen zusammenkrampft. Die Verdauung verliert den Kampf gegen das Curry, ich springe auf und renne ins Bad. Mein Magen tut sein Möglichstes, das Curry loszuwerden. Mir geht es gar nicht gut. Die Luft scheint viel dicker als sonst, und etwas neblig ist es auch.
Aus dem Nebenzimmer höre ich, wie Sina den Fernseher ausmacht und telefoniert. Ich reiße mich zusammen, spüle, öffne das Fenster und sehe in den Spiegel. Daraus blickt mich eine Art pickliger, rasierter Menschenhamster an. Meine Backen sind total angeschwollen. So kann ich Sina nicht unter die Augen treten. Aber ich bin mir sowieso nicht sicher, ob ich den Weg zurück ins Schlafzimmer schaffe, deshalb setze ich mich erst mal auf den Klodeckel.
»Mach mal die Tür auf!«, höre ich Sina von der anderen Seite rufen.
»Das willst du nicht wirklich!«, rufe ich zurück. Vielleicht sollte ich mich auf den Badezimmerfußboden legen? Keine schlechte Idee mit der Fußbodenheizung. Da ruhe ich mich ein bisschen aus, und dann schauen wir weiter.
Ich höre, wie sich der Drehverschluss der Badezimmertür öffnet. »Der alte Münztrick«, erklärt Sina kurz darauf und beugt sich über mich. Ihr Gesicht wirkt besorgt. »So eine Scheiße!«, sagt sie ganz unyogisch. Ich entschuldige mich für den Gestank. Sie nimmt einen Zahnputzbecher und schüttet ein Pulver hinein. Dann hilft sie mir, mich aufzusetzen.
»Du hast einen allergischen Schock, das hier ist ein Antihistaminikum.« Ohne weitere Zeit mit Erklärungen zu verschwenden, setzt sie mir den Becher an die Lippen. Ich trinke.
»Hast du mir was ins Essen getan?«, frage ich grinsend. »K. o.-Tropfen, damit ich dehnbarer werde?« Mein Kopf ist total durcheinander. Zum Glück hält ihn Sina fest.
»Das geht jetzt nicht, wegen Error«, stammle ich. Sina legt mir eine Tablette auf die Zunge.
»Ecstasy?«, frage ich. Sie seufzt und lächelt. »Kortison. Vertrau mir.«
Dann öffnet sie meinen Gürtel. Wusste ich es doch. Aber warum lächelt sie? Das neonfarbene Licht scheint durch ihr hennarotes Haar, das sie fast aussehen lässt wie einen Engel. Sina schaut mich kurz prüfend an und zückt eine Spritze. Bevor ich »Heroin?« fragen kann, sagt sie »Adrenalin!« und sticht mir die Nadel in den rechten Oberschenkel. Dann lässt sie sich neben mir auf die warmen Fliesen sinken. Erst spüre ich nur den Stich, dann wird mein Kopf plötzlich klarer, und ich bekomme wieder besser Luft.
»Wo hast du denn die ganzen Drogen her?«, frage ich.
Sina erzählt, dass sie auf einem Yogaseminar im Himalaja in der Heldenstellung mal von einem Insekt gestochen wurde und einen anaphylaktischen Schock erlitten habe. Eine der häufigsten Krankheiten im Himalaja-Gebirge ist die Höhenkrankheit, deren Symptome dem allergischen Schock ähneln. Die bewährte Notbremse gegen das allgemeine Organversagen ist auch bei der Höhenkrankheit die Adrenalinspritze. Ein
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