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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Seit ich nach Berlin gezogen bin, war ich nicht mehr hier. Aber es scheint sich auch nicht viel verändert zu haben. Die Kastanien, die dem Friedhof ihren Namen geben, stehen hier so erhaben wie früher, trotz der späten Stunde gehen noch ein paar ältere Leute mit Blumen, einer kleinen Schaufel oder einer Gießkanne umher. Jetzt merke ich erst, wie aufgeregt ich bin, und freue mich, dass Sina mitgekommen ist. Keine Ahnung, ob es am Yoga liegt, an Sina oder Meister Yoda, aber plötzlich habe ich keine Angst mehr. Stattdessen spüre ich ein tiefes Urvertrauen darin, dass alles gut wird.
    Den Weg zum Grab habe ich nicht vergessen. Wir gehen vom Hauptweg ab, passieren einige neue Gräber und kommen zu einer älteren Parzelle, in deren Mitte ein völlig zugewachsenes Stück Rasen liegt. Es ähnelt eher einem Stück Brachland und ist mit rotem Baustellenband vom Rest des Friedhofs abgetrennt. Gänseblümchen, Kletten und Disteln wuchern dort. Ich halte vergebens Ausschau nach dem bekannten Marmorstein, kann ihn aber nirgends entdecken.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt ein Mann hinter mir. Er trägt die grüne Latzhose eines Gärtners und eine Gießkanne in der Hand. Als ich fragend auf den Ort deute, an dem einst das Grab lag, zuckt er mit den Achseln. »Der Abschnitt hier wird aufgelöst. Wir haben die Angehörigen verständigt, die waren entweder selbst verstorben, nicht zu erreichen oder mit einer Umbettung einverstanden. Die Grabsteine sind schon weg. Angeblich sollen hier Wohnungen in ›ruhiger, aber städtischer Lage‹ gebaut werden. Kannten sie jemanden, der da liegt?« Ich nicke. Er stellt die Gießkanne ab und hebt die Absperrung aus der Halterung, so dass Sina und ich hindurchschlüpfen können.
    Hinter meterhohem Gestrüpp kann ich schließlich das überwucherte Grab ausmachen. Offenbar hat sich seit Jahren niemand mehr darum gekümmert. Ich spüre, wie Wut in mir aufsteigt. Klar, meine Mutter mochte romantisch verwilderte Gärten, aber das hier ist doch etwas zu viel des Guten. Ich hocke mich auf den Kies und atme tief durch.
    Das Grab war für mich nie ein Wallfahrtsort, aber immer ein Punkt, der mich mit einem Verlust konfrontiert hat, den ich am liebsten verdrängen würde. Ich lege eine Hand auf die steinerne Umrandung des Grabes. Es fühlt sich kalt an. Dann fühle ich Sinas Hand auf meiner Schulter. Sie schweigt, genau wie ich. Einen Moment habe ich das Gefühl, als würde ich sie meiner Mutter vorstellen. Ihr würde es bestimmt gefallen, dass ich mit einer Yogalehrerin befreundet bin.
    Plötzlich spüre ich, wie Sina mich loslässt, und höre ihre Schritte auf dem Kies knirschen. In meinem Hals hat sich ein mächtiger Kloß aus Trauer und Wut angesammelt, den ich gern runterschlucken würde. Wie konnte mein Vater das Grab nur so verkommen lassen? Klar hat er viel zu tun, aber man kann doch eine Gärtnerei beauftragen! An Geld mangelt es ihm ja nicht.
    Sina ist wieder da. Diesmal legt sie mir keine Hand auf die Schulter. Stattdessen höre ich ein metallisches Reiben hinter mir und drehe mich um. In der einen Hand hält Sina eine Gartenschere, in der anderen Hand eine Schaufel.
    »Habe ich mir vom Friedhofsgärtner geliehen«, sagt sie. »Da ist auch noch eine kleine Handharke und ein Spaten für die Disteln.« Sie deutet auf das Grab.
    »Aber es wird doch sowieso aufgelöst!«, wende ich ein.
    »Aber nicht heute.«

Breaking Point
    Danilo ist spät dran. Wir sind zum Mittagessen in einem vegetarischen Restaurant verabredet. Ich will ihm Sina und unsere Pläne vorstellen, freue mich aber auch darauf, mit ihr mal richtig gut auf Spesen essen zu gehen. Nach dem Friedhofsbesuch gestern haben wir noch das Eventkonzept fertiggestellt. Das Beste daran: Unsere Idee passt perfekt in Khamroffs EcoFit-Studio. Wenn die Präsentation erst mal gewonnen ist, können wir Kooperationen mit den anderen Yogastudios weiterführen, uns vernetzen und expandieren. Aber eins nach dem anderen.
    Zuerst müssen wir Danilo überzeugen. Als ich ihn kommen sehe, drücke ich instinktiv Sinas Hand. Sie lächelt, und ich kann nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. Bis ich hinter Danilo meinen Vater sehe.
    Guten Abend«, sagt er, als er bei uns am Tisch angekommen ist. Sein Blick ist kälter als mein Mango-Lassi und bei Weitem nicht so süß. Er stellt seine Ledertasche auf den freien Stuhl neben sich und nimmt uns gegenüber Platz. Danilo bleibt stehen und schüttelt erst Sina die Hand, dann mir.
    »Was machst du denn

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