Heldenwinter
Ausdruck eines ungläubigen Wiedererkennens über sein scharfgeschnittenes Gesicht.
»Bist du es wirklich?«
Dalarr nickte. »Habe ich mich so verändert?«
»Nein.« Hok Gammal lachte. »Ganz und gar nicht. Das ist es ja.«
Der Falkenreiter und der Tegin umarmten einander kurz und klopften sich auf die Schultern wie Veteranen einer lange vergessenen Schlacht.
»Was führt dich her?«, fragte Hok Gammal. Seine wachsamen Blicke huschten über die Wanderer.
»Du schuldest mir einen Flug«, sagte Dalarr. »Hast du Lust, diese Schuld zu begleichen?«
Der Falke, den Hok Gammal mit einer Abfolge kurzer Pfiffe herbeirief und der am Rand der Plattform landete, war das größte Geschöpf, das Namakan je gesehen hatte. Der schartige Hakenschnabel thronte in einer Höhe, an der sich bei einem Haus der Dachgiebel befand. Die schwarzen Augen waren groß wie Teller, die Fänge mindestens doppelt so lang wie Dalarrs Langschwert. Das Gefieder – weißbraun gefleckt am Bauch und auf der Brust, rostrot auf Rücken und Schwingen – glänzte nicht überall. Auf dem Kopf war es stumpf, und auch an den Beinen hatte es einen deutlich matten Ton.
Hok Gammal bellte eine Reihe von Anweisungen. Zehn, zwölf andere Falkenreiter, auf deren Schultern keine goldenen Knöpfe blitzten wie bei ihrem Befehlshaber, eilten herbei. Sie legten dem Falken, der das Gewusel um sich herum geduldig ertrug, einen ungewöhnlichen Sattel an. Er hatte eine sehr hohe Rückenlehne, fast wie die eines Sessels, und anstelle von Steigbügeln hingen von seinen Seiten zwei Röhren aus festem Leder, die in gespornten Stiefeln ausliefen. Als ob man Hosenbeine und Schuhwerk an den Sattel genäht hätte, dachte Namakan.
Zudem ließ sich der Falke ohne jedes Zeichen von Abwehr oder Scheu eine Haube auf den Kopf setzen, die mit einem Doppelring aus goldenen Stacheln verziert war. Doch im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Falkenhaube bedeckte diese die Augen nicht. Dafür gingen von ihren Seiten zwei lange, dünne Stangen aus schwarzem Holz ab, die wie die Riemen eines Ruderboots durch Holme neben dem Knauf des Sattels geführt wurden.
Das Anlegen des Sattels und der Haube nahm einige Zeit in Anspruch, die Namakan nutzte, um Hok Gammal ein paar Fragen zu stellen. Die drängendste lautete: »Woher kennst du meinen Meister?«
»Ohne ihn gäbe es keine Falkenreiter mehr«, antwortete Hok Gammal knapp.
»So wie man dir alles aus der Nase ziehen muss, musst du wirklich ein guter Freund Dalarrs sein«, stellte Morritbi schnippisch fest. Sie war die Einzige unter den Wanderern, die außer Namakan noch Interesse an Hok Gammal zeigte. Die anderen waren zu gebannt von dem Schauspiel, wie der Falke auf den kommenden Flug vorbereitet wurde. »Was soll das heißen? Ohne ihn gäbe es keine Falkenreiter mehr?«
»Vor vierzig Sommern, als ich noch ein junger Rekrut war, hat Dalarr uns alle gerettet«, erzählte Hok Gammal, dessen Blick umgehend in die ferne Vergangenheit schweifte. »Ein ganzes Regiment von uns wurde zu Verrätern. Sie hielten König Gubbe, den Schlohbart, für zu alt und zu verrückt, um noch die Geschicke des Reichs zu lenken. Also planten sie, ihn zu stürzen, wahrscheinlich um einen der Ihren auf den Thron zu bringen. Unsere Falken hatten sie vergiftet, bevor sie nach Silvretsodra aufgebrochen sind. Während die anderen um ihre verlorenen Freunde trauerten, bin ich einfach losgerannt, die Straße zur Hauptstadt hinunter. Dort kam mir dein Meister entgegengeritten. Er hörte sich mein panisches Gestammel an, zog mich auf sein Pferd und galoppierte mit mir los, um den Schlohbart zu retten. Ich weiß nicht, wie er sein Pferd so antreiben konnte, dass wir vor den Abtrünnigen in Silvretsodra waren. Ich weiß aber, dass es tot unter uns zusammenbrach, als wir kaum das große Stadttor passiert hatten. Wir stürmten auf die Palastmauern, und Dalarr übernahm den Befehl über die Leibgarde König Gubbes. Wir löschten die Abtrünnigen aus, bis auf den letzten Mann, das ganze Regiment. Ich muss sagen, dass wir Glück mit dem Wetter hatten: Wenn nicht ein Sturm aufgezogen wäre, der diese Verräter ganz schön beutelte, hätten wir diese Schlacht wohl nicht gewonnen. Danach ging er zurück ans Stadttor, mit Blut und Federn besudelt, um um sein Pferd zu trauern. Ich sagte ihm, ich würde ihm etwas schulden und er könnte alles von mir verlangen. Er verlangte nicht mehr, als dass er irgendwann einmal auf einem Falken fliegen wollte. Und jetzt ist es wohl so weit.« Hok
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