Heldenwinter
Kusk«, verlangte er heiser. »Verbring deine letzten Tage mit jemandem, der dich liebt.«
Ammorna seufzte. »Du kannst es einfach nicht lassen, oder?«
»Was?«
»Dir einzubilden, dass alle Geschichten auf irgendeine Weise gut auszugehen haben, nur weil du es dir wünschst.«
»Ich sehe darin nichts Falsches«, verteidigte sich Namakan.
»Nein, natürlich nicht.« Sie nahm die nächste Stufe, ehe sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. »Und versprich mir, dass du auf Kjell aufpasst. Und auf deinen Meister. Auch ein alter Wanderer kann sich auf dem rechten Weg verirren.«
Mit dieser rätselhaften Warnung ließ die Kroka-Dienerin ihn stehen. Namakan sah ihr noch ein, zwei Herzschläge nach, wie sie sich auf ihren Krallenstab gestützt die Stiege hinunterkämpfte. Dann kehrte er an Morritbis Seite zurück und hielt einen Moment schweigend ihre glühendheiße Hand.
Die verbliebenen Wanderer stiegen durch eine Klappe in der Seitenwand des Korbs. Hok Gammal hatte die Wahrheit gesagt: Es war eng dort drinnen, und die furchtsame Erwartung in seinem Herzen ließ die geflochtenen Wände noch ein ganzes Stück dichter zusammenrücken.
Er fand seinen Platz neben Morritbi, hinter ihnen saßen Tschumilal und Kjell, vor ihnen kauerten Dalarr und Eisarn. »Smarna, Smarna, Smarna«, murmelte der Zwerg vor sich hin wie ein einfältiger Bettler, der nur ein einziges Wort kannte.
Namakan hatte nicht übel Lust, seine Hände um Eisarns feisten Hals zu schließen und das ewige Gejammer endlich zu ersticken.
Ein junger Falkenreiter zeigte Morritbi, wie die Klappe zu schließen und von innen zu verriegeln war. Er wünschte ihnen noch günstige Winde, dann verschwand er. Morritbi folgte den Anweisungen, die sie erhalten hatte, und senkte das Innere des Korbs in ein beklemmendes Halbdunkel. Als Namakan die beachtliche Wärme ihres Oberschenkels an seinem spürte, quälte ihn kurz eine Schreckensvision. Der Korb. Sein Boden wird anfangen zu brennen, weil sie so heiß ist. Wir werden versuchen, die Flammen auszuschlagen, doch alles, was wir damit erreichen, ist, dass wir ein Loch ins Geflecht schlagen. Und dann purzeln wir alle hinaus, einer nach dem anderen. Das wird der merkwürdigste Regen, den die Steppen je gesehen haben …
Draußen rauschte es wie von einem Herbststurm in trockenem Laub. Der Korb kippte nach vorn und schrammte einen furchtbar langen Augenblick über das Holz der Plattform. Alle Wanderer bis auf Tschumilal schrien auf, Eisarn am lautesten. Namakans Eingeweide fühlten sich an, als verwandelten sie sich in einen Klumpen Brei, der ihm aus dem Mund zu hüpfen drohte. Dann spürte er eine sonderbare Empfindung, die er nicht anders einzuordnen verstand denn als eine leichte Schwere. Oder war es doch eher eine schwere Leichtigkeit?
Wir fliegen! Ein ekstatischer Schrecken spülte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Bei den Untrennbaren! Wir fliegen!
Während der Wind kalt durch die Ritzen des Korbs pfiff und Namakan mit einem Mal großen Gefallen an Morritbis Hitze fand, fiel ihm etwas ein, das ihm ein breites Grinsen entlockte: Wikowar, der fette, verräterische Händler, hatte viele Lügen in seinem Wanst mit sich herumgetragen, aber auch eine unverwüstliche Wahrheit. Die Welt jenseits der Narbe war tatsächlich voller Wunder. Ich sitze in einem Korb, den ein Riesenfalke in seinen Fängen trägt. Neben mir eine Hexe, deren Vater ein Feuergeist war. Hinter mir ein Graf ohne Land, der sich gleich in eine Ratte verwandeln wird, und eine halbe Elfe. Vor mir ein verstoßener Zwerg und ein Unsterblicher, der mich als seinen Sohn großgezogen hat … Selbst wenn ich genau jetzt sterben sollte, müsste ich mir nicht vorwerfen, nichts erlebt zu haben.
Als Kjell sich wenig später hinter ihm zu winden und zu zucken begann, dass der ganze Korb davon erbebte, wurde Namakan doch noch richtig angst und bange. Er hatte bislang nur eine von Kjells Verwandlungen mit eigenen Augen gesehen, und die war von einer Ratte in einen Menschen gewesen. Von der, die nun erfolgte, sah er auch nicht viel: Ein einziger rascher Blick über die Schulter reichte aus, dass er sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht zog, die Hände auf die Ohren presste und sehnsüchtig auf das Ende der Schreie wartete. Das Bild von Kjells schrumpfendem, verdrehtem Leib würde ihn dennoch lange verfolgen, so viel stand fest. Wie ein Lappen, den man auswringt, oder ein Pergament, das man in der Faust zusammenknüllt.
Erst nachdem Kjells Gekreisch eine Weile
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