Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
Vom Netzwerk:
der Jagdunfall, bei dem sich ein vorschnell abgeschossener Pfeil durch ein Auge bohrt – und bei dem sich hinterher niemand daran erinnern kann oder will, wie er die Sehne hat schnellen lassen. Waldur hätte das Rätsel lösen können, denn er war ein ausgezeichneter Schütze.
    Da war das geheimnisvolle Siechtum des jüngeren Prinzen, dem die Haare ausgingen und dessen Gedärm sich in stinkenden Schleim verwandelte. Keiner der herbeigerufenen Ärzte und keines der zum Palast befohlenen Kräuterweiber vermochte sein Leid zu lindern, bis seinen ausgezehrten Leib schließlich jede Kraft verließ. Zwanzig hätte ihnen verraten können, welches schleichende Gift in den Kuchen gemischt worden war, den er dem Jungen zu seinem zwölften Fleischwerdungsfest geschenkt hatte. Und Elf wusste, weshalb das Gift nicht dazu kam, seine Wirkung auch beim Vorkoster des Prinzen zu zeigen. Dem armen Vorkoster, der nur zwei Tage nach dem Fest auf einer der vielen Treppen des Palasts so unglücklich stürzte, dass er sich den Hals brach.
    Da war der Feldherr, dem die Ehre zuteil wurde, sich zusammen mit einigen seiner treuesten Kameraden eine Nacht lang mit den drallsten Konkubinen zu vergnügen – und der im Sattel starb, wie es bei den Reiterkompanien so schön heißt. Fünf kannte die Vorlieben des Feldherrn aus eigener Anschauung sehr genau, und er hatte die Konkubine ausgewählt, deren Schoß es zu präparieren galt, um den geilen Bock darin nicht nur seinen Samen, sondern auch sein Blut verströmen zu lassen. Wie schade, dass Gubbe den halb geschrienen, halb geschluchzten Beteuerungen dieser besseren Hure keinen Glauben schenkte. Und es war nun auch völlig abwegig, dass ausgerechnet sein liebster Neffe sie mit einem Heiratsversprechen dazu überredet haben sollte, die Nadeln aus schwarzem Skaldat in ihrer liederlichen Spalte zu tragen. Sie hatte keine Tränen und keine Schreie mehr, als der König befahl, sie in ihrer Turmkemenate einzumauern.
    Da war der Unterhändler, den Gubbe in einem wachen Augenblick zum Piratenkaiser entsandt hatte, um einen Frieden an den Küsten auszuhandeln – und in dessen Gepäck ein Schreiben gefunden wurde, das ihm einen Teil sämtlicher Beute zusicherte, die die Piraten in den nächsten zwölf Monden machten. Zum Dank dafür, dass er ihrem Kaiser dargelegt hatte, auf welchen Routen die gewinnbringendsten Frachten zu erwarten waren. Der Unterhändler behauptete zwar, das Siegel der Tausendköpfigen Schlange unter dem Schreiben sei eine Fälschung, doch niemand schenkte ihm Glauben. Die weisesten Gelehrten am Hof begutachteten das vielfach verschlungene Siegel und gelangten zu dem Schluss, nur ein Teufel hätte ausreichend geschickte Finger, um es zu fälschen. Nun, der Holzkopf mochte kein Teufel gewesen sein, aber seine Finger waren sehr, sehr geschickt.
    Und so kam es, dass die Hautschreiber mehr und mehr zu tun hatten. Die neue Zahl im Nacken des einen Verschwörers war noch nicht verheilt, da eilten sie schon zum nächsten, um ihm das Zeichen einzustechen, das ihn einen Schritt näher an den Thron brachte. Fünf war kein Narr. Er achtete peinlich genau darauf, dass auch immer wieder Anwärter auf den Thron starben, die höhere Zahlen als er im Nacken trugen. Zum einen stellte er so Elfs und Zwanzigs Drang nach eigenem Machtgewinn zufrieden, zum anderen verschleierte er damit geschickt, dass der Thron für ihn inzwischen zum Greifen nah war.
    Dann geschah etwas Unerwartetes. Zwanzig hatte einen bemerkenswerten Hang, sich ab und an nachts aus dem Palast zu stehlen, um sich unter die Ärmsten der Armen in Silvretsodra zu mischen – die Rattenfresser, nannte man sie damals in der Hauptstadt. Ich vermute, Zwanzig fand Gefallen daran, sich an dem Elend und dem Leid anderer zu ergötzen, und beides gab es unter den Rattenfressern zuhauf. Viele von ihnen waren entstellt, weil sie ihre Nase oder ihre Ohren oder eines ihrer Augen an die Alchemisten in den besseren Vierteln verkauft hatten, die daraus Elixiere brauten, mit denen die feinen Leute ihr Leben zu verlängern hofften. Und die Alchemisten nahmen ihnen noch viel grässlichere Waren ab. Ich weiß von Rattenfresserinnen, deren Bäuche ständig dick waren und die dennoch nie ein Kind an ihrer Brust hatten. Andere stellten sich für einen Kanten Brot in den Schaukämpfen der Armee als Barbaren zur Verfügung, und es war nicht unüblich, dass im Zuge dieser nachgestellten Schlachten der eine oder andere Barbar wenn nicht das Leben, so doch ein Arm

Weitere Kostenlose Bücher