Heldenzorn: Roman (German Edition)
Fall zu den schlauen Bauern gehört. Die haben nämlich beschlossen, dass Gurda ruhig weiter den Stein anfassen soll, so viel sie nur will. Und auch sonst durfte jeder ran, der sich traute. Bei den meisten tat sich gar nichts, andere wie Gurda stießen jedes Mal eine neue Prophezeiung aus, wenn sie den Stein berührten. Und was immer dann geflüstert wurde, wurde flott aufgeschrieben. Manches davon wurde wahr, anderes nicht. Zumindest bis jetzt noch nicht.« Er breitete die Arme aus. »Und so ist es bis heute geblieben. Als der Subveheros Kalvakorum errichtete, hat er einfach ein Gebäude um den Stein herum gebaut, und er erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit. Zumindest bei denen, die in den Palastbezirk dürfen, denn da steht die Kammer nämlich, einen kurzen Fußmarsch vom Palast zwischen dem Turm des Wassers und dem Turm der Erde.«
»Werden ihre Tore nach Sonnenuntergang geschlossen?«, fragte Teriasch.
»Nein«, sagte Rukabo. »Ihre Tore haben nicht mal Riegel.«
Versteh einer die Harten Menschen! »Dann begreife ich nicht, warum wir nicht gleich dorthin gehen können?«
»Oh!« Rukabos Hand klatschte an seine Stirn. »Habe ich vergessen, die Würmer zu erwähnen?«
»Du hast vergessen, die Würmer zu erwähnen«, bestätigte Carda und klang dabei wenig überrascht.
Die Haut um Teriaschs Kollare kribbelte, als er daran dachte, dass er Schwarzschwinge versprochen hatte, einen ganz besonderen Wurm zu töten, indem er ihn mit dem Drachenzahn durchbohrte. »Welche Würmer meint ihr denn da?«
»Erinnerst du dich an die Löcher im Raunenden Stein?«, fragte Rukabo.
»Ja.«
»Nun, da kriechen jeden Abend nach Sonnenuntergang die Würmer raus, die in ihm leben.« Rukabo rümpfte die Nase. »Eklige Viecher. Die kleinsten könnten es mit einem deiner Zöpfe aufnehmen, und die größten sind fast so lang wie ich. Hast du schon mal eine Katze gesehen, die unter ein Karrenrad gekommen ist? Das, was der armen Mieze dann aus dem Schädel quillt, das hat genau die gleiche Farbe wie diese Würmer. Eklige Viecher. Keiner weiß, was sie fressen oder warum sie nie mehr als fünfzig Schritt von ihrem Stein wegkriechen. Aber was man weiß, ist, dass sie gern an Menschen hochkrabbeln und dass der Schleim an ihnen sogar durch Metall sickert. Und der Schleim ist das eigentlich Gefährliche an ihnen: Er lähmt einen, bis man nicht mehr atmen kann, und dann ist man dran.«
Das Kribbeln an Teriaschs Hals war nicht gerade angenehmer geworden. »Und bei Sonnenaufgang ziehen sie sich wieder in den Stein zurück?«
»Genau«, antwortete Carda. »Und deshalb müssen wir bis Sonnenaufgang warten. Halt, nein.« Sie hob abwehrend die Hand und warf einen Blick auf die Nische mit der Wasseruhr in Form zweier kämpfender Löwinnen, deren vergossenes Blut die Zeit ansagte. »Morgen ist Thronbesteigungstag. Ihre Hoheit wird da anderen Verpflichtungen nachkommen müssen. Wir werden uns noch einen weiteren Tag zu gedulden haben, ehe wir der Spur nachgehen können.«
Teriasch versuchte nicht daran zu denken, was Dropaxvir ihm über Silicis’ Lebenserwartung erzählt hatte, doch es war zu spät. Womöglich ist er schon tot. Und der Pechmann und Gigas und Paetus und all die anderen auch …
»Ich würde die ganze Sache dringend schon heute Nacht abgewickelt wissen«, sagte Rukabo ungeduldig und roch an seinen Fingerspitzen, wie er es sich in den letzten Tagen angewöhnt hatte. »Am liebsten noch vor dem mitternächtlichen Feuerwerk, wenn es sich einrichten ließe.«
»Ach, Verzeihung«, entgegnete Carda spöttisch. »Ich wusste nicht, dass wir mit dir ja einen Zauberer parat haben, der die Nacht zum Tag machen kann.«
Rukabo korrigierte pikiert den Sitz seiner verrutschten Gugel. »Du vergisst, mit wem du sprichst!«
»Mit einem fetten Aufschneider?«
»Mit dem Kater von Kalvakorum!« Er sprang vom Bett und richtete sich zu seiner vollen, wenig imposanten Größe auf. »Ich will euch ein kleines Geheimnis verraten. Diese Sache mit der Blüte der Jungferngunst. Das, was Wuplesch und der Rest der blöden Bande immer meinen großen Frevel nennt. Das war nun wirklich nicht mein erster Auftrag für eine Liebhaberin der Sorgsamen Kunst.« Er bohrte einen Finger in Teriaschs Oberschenkel. »Ich habe dir doch von dieser Alchimistin erzählt, der ich etwas unter dem Bett hinterlassen habe, oder?«
»Ja. Und?«
»Das hatte seine Gründe. Sie hatte mich angeheuert, ihr etwas aus der Kammer des Raunenden Steins zu besorgen«, erklärte
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