Heldenzorn: Roman (German Edition)
er stolz. »Es tut nichts zur Sache, was das war. Wichtig ist nur, dass ich dafür nachts in die Kammer rein und auch wieder raus musste. Und ich habe es geschafft!«
»Verbockter Dung!«, fluchte Carda. »Wie willst du das gemacht haben?«
Keckernd tippte sich Rukabo an die Schläfe. »Hiermit. Den hab ich nicht nur, damit es mir nicht in den Hals regnet, weißt du?« Er seufzte theatralisch. »Und ich muss gestehen, dass ich ohne meine Plackerei in den Gärten nie darauf gekommen wäre. Meine Verwandten sind nur zu einfältig, die Mittel der Gartenbaukunst gewinnbringend einzusetzen.«
»Sprich nicht in Rätseln!«, verlangte Carda.
»Wohlan.« In genüsslicher Selbstverliebtheit und ganz wie der Mentor an einer Akademia hielt Rukabo einen kurzen Vortrag. »Was macht die Kammer nachts gefährlich? Die Würmer. Eklige Viecher! Wovor schreckt jeder Wurm zurück, weil er befürchtet auszutrocknen, wenn er darüber hinwegkriecht? Vor Salz. So einfach ist das nämlich. Man streut es um sich, während man in die Kammer hineinspaziert, und schon lassen einen die Würmer in Frieden. Obwohl …« Er unterbrach sich und legte einen dicken Finger an die Unterlippe. »Es ist selbstverständlich nicht ganz billig. Es sind seltene Würmer, also braucht es auch ein seltenes Salz, um sie zurückzuhalten. Das letzte Mal habe ich zwei Säcke klarstes Kristallsalz von den Hängen des Weltenwalls dafür vergeudet.«
»Dieses Salz kostet ein Vermögen!«, entfuhr es Carda.
»Sag ich ja.« Rukabo schlenderte zu einem der Kästchen, in denen Nesca ihren liebsten Schmuck verwahrte. »Andererseits mangelt es uns in dieser Hinsicht nicht an Mitteln, oder?«
»Er hat recht«, räumte Teriasch ein. »Je schneller wir unseren Verdacht bestätigen können, desto besser können wir Nesca beschützen.« Und desto eher bin ich frei, um das zu tun, was all diesem Wahnsinn in eurem Land hoffentlich ein Ende bereiten wird …
»Wo finden wir in so kurzer Zeit so viel Kristallsalz für uns vier?«, wandte Carda ein.
»Ich habe meine Quellen«, sagte Rukabo. »Außerdem sehe ich keinen Grund, die Pupula zu wecken. Es reicht, wenn zwei von uns gehen. Der Häuptling und ich werden die Sache schon richten. Dann genügen zwei Säcke, wenn ich sparsam bin.« Er sah die Scharlachrote Rose auffordernd an und strich dabei so zärtlich über das Schmuckkästchen, als liebkoste er einen willigen Lustsklaven. »Nun, wie sieht es aus?«
Die Kammer des Raunenden Steins war kein heimeliger Ort, obwohl seine Tore auch des Nachts offen standen. Zu niedrig war die Decke aus nackten Felsblöcken, zu beunruhigend die Lebensechtheit der Statuen aus einem grauen Material, das Teriasch an die Steine erinnerte, mit denen Rukabo sich im Herrschaftlichen Dampfbad die gröbste Hornhaut von den Sohlen geschmirgelt hatte. Wer immer sie geschaffen hatte, bewies einen Hang zu grotesken Posen und Charakteren – mal bemerkte Teriasch im Schein seiner Laterne eine halb niedergesunkene, kräftig gebaute Frau, die die Finger wie Krallen in die üppigen Brüste gegraben hatte, dann stellte sich ein Schemen als Skulptur eines einarmigen Jungen heraus, der auf Zehenspitzen stand. Manche waren nackt, andere waren sonderbarerweise in Kleidung gehüllt, die sich je nach Alter des Kunstwerks in unterschiedlichen Stadien der Auflösung befand – von mottenzerfressenen Tuniken über brüchigen Filz bis hin zu rostigen Panzern war alles darunter. Hinzu kam, dass die Anordnung der Statuen keinerlei erkennbarer Ordnung zu folgen schien, was im Land der Harten Menschen umso ungewöhnlicher wirkte. Die Standbilder waren überall in den schmalen Gängen verteilt, die um niedrige Podeste herum verliefen. Aus den Absätzen ragten wie Pfosten eines Gatters die hölzernen Abroller von zwei Schritt hohen Schriftrollen auf. Die Schreibschemel vor dem aufgespannten Pergament waren abgewetzt, die Rollen selbst dicht an dicht mit den kantigen Schriftzeichen bekritzelt, wie man sie im Dominum verwendete. Häute als Werkzeug der Erinnerung. Fast wie bei uns. Nur dass die Harten Menschen lieber ihre Gedanken in feste Formen zwängen, um sie auf Tierhäuten festzuhalten …
Über dem würzigen Aroma des Pergaments nahm Teriasch einen anderen, widerwärtigen Geruch wahr, scharf und feucht, wie von vergorenem Pfefferkraut. Die Geräusche in der Kammer waren nicht minder übelkeiterregend: ein beständiges Schmatzen, als würden irgendwo im Dunkel Hunderte von Greisen mit offenem Mund die feuchten
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