Heldenzorn: Roman (German Edition)
Richtung der Nadel. »Stichst du mich nun damit?«
»Wenn du unbedingt möchtest …«
Die Leibwächterin verzichtete auf die Zärtlichkeit, die sie bei Nesca gezeigt hatte: Sie drückte Teriasch an der Schulter nieder und bohrte ihm den Süßen Dorn in den Hals. Danach bezog sie sofort wieder Stellung an der Tür.
Teriasch rieb sich die schmerzende Stelle, wo sie ihn gestochen hatte. Die Wirkung war höchst erstaunlich: Schon spürte er seinen Leib schwerer und schwerer werden, als wäre er aus Stein und nicht aus Fleisch und Blut. Doch es war keine Kälte, die sich durch sämtliche Adern ausbreitete. Es war eine prickelnde Wärme, wie man sie an einem kalten Tag im Innern einer Schwitzhütte verspürte.
»Wann soll ich dich aufwecken?«, fragte Carda.
»Wenn du es für richtig hältst.« Es kostete Teriasch viel Kraft, Zunge und Lippen dazu zu bewegen, Worte zu formen. »Und wenn du mir nicht traust, lässt du mich einfach ewig schlafen.«
Sein letzter Gedanke, ehe er die wache Welt verließ, war erschreckend und verheißungsvoll zugleich. Was, wenn das nur das Ende einer langen Vision ist und ich daheim auf der Steppe erwache, schweißgebadet und den Geschmack von Kräutersud auf der Zunge?
An dem Ort, an dem Teriasch dem Drachen begegnete, hatte sich seit dem letzten Mal nichts verändert. Noch immer war die Welt rings um den Gipfel ins Zwergenhafte geschrumpft, noch immer war Schwarzschwinge in einer starren Kruste aus getrocknetem Schleim gefangen, und noch immer sprach das uralte Geschöpf in der Sprache des Windes.
»Du blutest«, lautete seine Begrüßung.
Teriasch sah an sich herunter und erwartete, dass es rot an seiner Flanke herabrann, dort, wo ihn im Bad der Dolch des Letzten Seufzers gestreift hatte. Doch da gab es keine Wunde, seine Haut war unversehrt. Stattdessen sprudelte das Blut aus der Mitte seiner Brust, benetzte die Zier aus Hengstzähnen und Geierklauen, die er in der wachen Welt vor so langer Zeit schon abgelegt hatte.
»Sie hat scharfe Krallen«, säuselte Schwarzschwinge.
»Ich bin nicht hier, um über sie zu sprechen.«
»Nicht?« Der Drache lachte brummend auf. »Vielleicht sollten wir das aber. Mir scheint, sie hält dich davon ab, das zu tun, worauf wir uns geeinigt haben.«
»Deswegen bin ich hier.« Er hob die Hand, in der er diesmal keine schwere Keule, sondern Schwarzschwinges federleichten Zahn trug. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Habe ich dir nicht genug gegeben?« Der Drache drehte den Kopf und zeigte Teriasch eine Lücke in seinen Zahnreihen, die um einiges breiter war als in der wachen Welt. »Bekommst du denn nie genug?«
Teriasch achtete weder auf den leisen Hohn noch auf sein Blut, das sich zu seinen Füßen in einer Lache sammelte. »Du hast gesagt, der Wurm der alles umschlingenden Liebe hätte dir noch nicht deine gesamte Macht gestohlen. Du musst einen Teil dieser Macht zu meinen Gunsten einsetzen, damit ich unsere Abmachung einhalten kann. Würdest du das tun?«
»Wenn es denn einem Zweck dient, der auch mir förderlich ist«, knurrte der Drache. »Wann brauchst du meine Unterstützung? Auf der Stelle?«
»Nein.« Teriasch zögerte. Bin ich umsonst zu ihm gekommen? Ich weiß nicht einmal, ob er zu dem fähig ist, was ich mir von ihm erwarte. »Ich kenne den Augenblick noch nicht. Aber es wird bald sein.«
»Du stellst sonderbare Forderungen, Menschlein«, sagte Schwarzschwinge, als hätte er das letzte Gespräch zwischen Teriasch und Carda belauscht. Der Drache blickte seinen Besucher aus unergründlichen Augen an, die im Traum noch beide gesund und klar waren. »Woher soll ich erfahren, wann es für mich Zeit ist, mein letztes Quäntchen Macht für dich in die Waagschale zu werfen, hm? Und woher soll ich wissen, wo ich dich finde? Hast du etwa vor, ein Leuchtfeuer zu entzünden?«
Teriasch schwieg. Es war dumm von mir, hierherzukommen.
Aus Schwarzschwinges Maul schoss eine gespaltene Zunge, die über Teriaschs Blut hinwegstrich. »Du schmeckst gut. Scharf.« Dann lachte der Drache wieder. »Zieh nicht ein solches Gesicht, Menschlein. Nimm es mir nicht übel, wenn ich meine Späßchen mit dir treibe. Ich habe so wenig Abwechslung im Kerker. Und ich muss wirklich sagen, dass ihr noch mehr über uns vergessen habt, als ich es je für möglich gehalten hätte. Du sorgst dich darum, ob ich weiß, wann du mich brauchst? Sieh doch nur, was du da in Händen hältst, du dummer Schlüpfling!«
Teriasch schaute auf den Zahn. Er fühlte
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