Heldenzorn: Roman (German Edition)
musste er nicht tun. Der Wind trug den köstlichen Duft bald zu mir, und mir knurrte der Magen. Ich verlor mich in meinem Hunger, denn es war verflucht lange her, dass mir jemand ein schmackhaftes Opfer dargebracht hatte. So flog ich los, und als ich den Haufen erspähte – dieses unvergleichliche Festmahl! –, stieß ich aus dem Himmel herab, hinein in die Verlockung, den Schlund weit aufgerissen. Ich fraß mich voran, tiefer und tiefer zwischen die Leckerbissen. Als ich spürte, wie sich das Kollare, das in dem Leichenhügel verborgen lag, bewegte, war es längst zu spät. Schon hatte es sich um meinen Hals geschlungen, und ich hörte den Kala Hantumanas seine süßen Liebesschwüre murmeln. Und weil ich ihnen nur einen Augenblick zu lange lauschte, war ich ihm verfallen, und der Mann brachte mich in den Turm, den er für mich gebaut hatte.« Erneut schloss der Drache die Augen, als schämte er sich für das Eingeständnis seiner Schwäche. »Sie demütigten mich noch weiter, und sie demütigen mich bis zum heutigen Tag. Sie rauben mir meine Kraft und lenken sie in die Kollare, die sie meinen niedersten Abkömmlingen umlegen, um sie so im Zaum zu halten.«
Da der Drache die Augen geschlossen hielt, wagte sich Teriasch ein wenig dichter an ihn heran. »Die Flugechsen sind deine Kinder?«
»Vor langer Zeit, als die Tiere noch wie Menschen sprachen, bin ich einer Schlange begegnet, die vom Fliegen träumte«, sagte Schwarzschwinge versonnen. »Ihr konnte ich diesen Wunsch nicht erfüllen, aber ich bot ihr an, meinen Samen über einem ihrer Gelege zu verspritzen, damit zumindest ihren Jungen Flügel wachsen konnten. Ich war damals noch jung und ungestüm. Heute würde ich da mehr Zurückhaltung üben. Es gibt Träume, die besser niemals wahr werden sollten.«
Die Geschichte von der Schlange leuchtete Teriasch ein. Es ist wie mit Kimilila, dem ersten Schmetterling, der entstanden ist, als eine Blume und eine Fliege zueinanderfanden und miteinander verschmolzen sind. Etwas anderes verblüffte ihn weitaus mehr. »Habe ich dich richtig verstanden? Du bist ein Sklave wie ich. Und deine Macht wird benutzt, um auch die Flugechsen zu Sklaven zu machen. Heißt das, die Harten Menschen würden nicht mehr auf den Echsen reiten können, sobald du frei bist?«
»Sobald ich frei bin und mich wieder in die Lüfte erhebe«, antwortete Schwarzschwinge, »sind auch die Echsen frei. Ganz recht.« Er hob den Kopf ein Stück. »Du bist noch kleiner, als ich gedacht hatte. Selbst aus der Nähe.« Teriasch schwangen die Zöpfe nach vorn, als der Drache Luft in seine Atemlöcher sog, um Witterung aufzunehmen. »Und du riechst merkwürdig, Menschlein. Nach Rauch und Asche. Gut. Sehr gut.«
Teriasch roch an sich herunter, ohne dabei etwas Auffälliges wahrzunehmen. Sein Kinn streifte sein Kollare, und er stutzte. »Was ist mit den Probaskas? Sie tragen auch Halsreifen. Woher bekommen sie ihre Macht? Auch von dir?«
»Natürlich nicht.« Schwarzschwinges Augen funkelten amüsiert. »Oder meinst du vielleicht, ich hätte einen Rüssel anstelle eines Schwanzes? Da muss ich dich enttäuschen. Der Mann, der mich gefangen hat, ist vieles. Grausam, selbstsüchtig und dümmer, als er sich selbst je eingestehen würde. Aber Faulheit kann man ihm nicht vorwerfen. Nachdem er mich eingesperrt hat, ist er bald wieder mit seiner Armee losgezogen, in den Tiefen Süden. In die Nassen Wälder, wo die Karini Yoni lebte, die Mutter aller Rüssel. Ein Probaska, vor dem selbst die größten Exemplare im Dominum aussehen wie ein Kalb neben seinem Alttier. Ich habe keine Ahnung, wie er sie eingefangen hat.«
»Mit einem riesigen Berg aus Heu, in dem er ein Kollare versteckt hat?«, schlug Teriasch vor.
Der Drache lachte. »Ja, das kann schon sein. Auch wenn der Mann sich mit seiner List wahrscheinlich nicht so viel Mühe hätte geben müssen. Die Karini Yoni ist …« Er atmete einmal tief ein und wieder aus. »Sie ist eine einfache Seele. Wenn ich sie in ihren Träumen besuche, versteht sie mich nie. Sie steht dann nur in einem schlammigen Tümpel herum und kaut auf einem Batzen Wasserlinsen. Das ist anscheinend ihre Vorstellung von wahrer Glückseligkeit.«
»Und wenn sie frei wäre, wären auch alle Rüsselschnauzen frei?«
»Ja. Aber mach dir keine Hoffnungen.« Schwarzschwinge seufzte. »Wir werden sie nicht für unseren Plan gewinnen können. Sie wird ihn nicht begreifen.«
»Nicht so schnell.« Mutig machte Teriasch einen Schritt nach vorn, die
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