Heldenzorn: Roman (German Edition)
steht!«
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Es heißt, der Dominex schlafe nie. Die einen sagen, dem wäre so, weil er unermüdlich über das Haus wacht, in dem alle Häuser sind. Die anderen wissen, dass er tausend Töchter hat.
Aus einem Manuskript des verschollenen Possenreißers Kavillatio Malujokus
»Da drüben fangen wir an.« Rukabo zeigte auf den Eingang eines Rauchhauses, in dem die Schwaden besonders dicht unter der Decke hingen. Halb nackte Tänzerinnen und Tänzer verrenkten zum Klang von Schellenkränzen und Flöten ihre Hüften und Gliedmaßen in nahezu unglaublichen Winkeln. »Du wirst sehen, es ist gar nicht so leicht, auf die Schnelle fünfzehn Rota zu verprassen, wenn wir vor Sonnenuntergang wieder in der Arena sein sollen.«
Einerseits war es für Teriasch verstörend, wie hartnäckig Rukabo das Beben des Turms der Erde ignorierte und sich stattdessen an der Aussicht erfreute, Silicis’ Geld mit beiden Händen auszugeben. Andererseits half das Verhalten des Halblings ihm dabei, nicht zu viel darüber nachzudenken, was wohl geschehen wäre, wenn sein Zorn auf die beiden Kinder, die das Probaska geärgert hatten, noch größer ausgefallen wäre. Hätte die Mutter aller Rüssel den Turm mit ihrem Wüten wirklich zum Einsturz gebracht? Wäre ich dann schon bei meinen Ahnen? Ich muss Rukabo am Ende sogar dankbar sein, dass er sich geweigert hat, mich zum Turm des Feuers zu führen. Wer weiß, wohin mein Zorn sich gewandt hätte, wenn der Drache aus meinem Traum die Wahrheit gesagt hat und in diesem Turm keine Kreatur gefangen ist. Oder schlimmer noch: Wenn Schwarzschwinge gelogen hat und ich ein noch viel gefährlicheres Wesen als die Mutter aller Rüssel mit meinem Zorn in Raserei versetzt hätte …
Auf dem Weg in eines der Vergnügungsviertel Kalvakorums war nicht zu überhören gewesen, wie besorgt die Bewohner über die unheimlichen Vorgänge am Turm der Erde tatsächlich waren.
Soldaten patrouillierten paarweise die größeren Straßen, und einmal hatte einer seinem Kameraden eine bedrückende Vermutung offenbart: »Kann es nicht sein, dass der Dominex – gepriesen sei er! – krank ist und deshalb den eingesperrten Behemoth nicht mehr richtig im Zaum halten kann? Oder was ist, wenn er schlicht zu alt ist und kurz davor, seinem Vater zu den Göttern nachzufolgen? Dann stürzt bald der gesamte Himmel über uns ein!«
Bevor sich Teriasch jedoch seine eigenen Gedanken zu dieser Vermutung machen konnte, hatte Rukabo ihn gefragt: »Bist du eigentlich schon einmal bei einem Muskelkneter gewesen, der dich so richtig durchgewalkt hat? Ich kenne da einen, der verschafft dem ganzen Drücken und Reiben und Pressen für ein paar kleine Münzen einen besonders glücklichen Ausgang, wenn du verstehst, was ich meine.«
Vor einem Brunnen, an dem eine Gruppe Sklaven beieinanderstand, hatte Teriasch eine andere Deutung der Ereignisse aufgeschnappt. »Vielleicht hat sich der Priesterrat dabei vertan, welchem Behemoth die Opfer aus der nächsten Losziehung zustehen. Dann grollt uns jetzt die Erde nur, weil sie meint, das Feuer wäre uns wichtiger als sie. Was für eine Schande!«
Rukabo hatte Teriaschs Sorgen durch einen Hinweis auf eine ungewöhnliche Köstlichkeit zerstreut: »Ich hoffe, wir finden einen Laden, der Weinäpfel im Angebot hat. Ich weiß, was du jetzt denkst. ›Warum nur ist er so in Wallung wegen ein paar eingelegter Früchte?‹ Aber du irrst, mein Freund, du irrst dich ganz gewaltig. Weinäpfel heißen Weinäpfel, weil sie so gezüchtet wurden, dass sie noch am Ast vergären. Fressen und Saufen in einem! Besser wird’s nicht, das verspreche ich dir.«
Die Insassen zweier parallel am Straßenrand abgestellten Sänften hatten eine vollkommen andere Erklärung für das Beben und Schwanken des Turms gefunden: »Machen wir uns nichts vor. Da war Sprengpulver im Einsatz. Wir haben in letzter Zeit einfach zu vielen Sklaven die Freiheit geschenkt, die damit nicht umgehen können und sich nun daranmachen wollen, unsere ganze Ordnung auf den Kopf zu stellen. Man traut sich ja kaum noch aus der Villa vor lauter Angst, grundlos ermordet zu werden.«
Auch darüber hatte Teriasch nicht länger sinnieren können, weil Rukabo von einer weiteren Attraktion des Viertels geschwärmt hatte: »Ich weiß etwas, das ganz nach deinem Geschmack sein dürfte: Klangscheiben aus Skaldat. Wenn ein wahrer Meister sie spielt, löst jeder neue Ton eine andere Empfindung aus, je nachdem, welche Scheiben zusammen schwingen. Rot und blau
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