Heldenzorn: Roman (German Edition)
Prachtstraße führte schnurgerade auf ein haushohes Tor in der Mauer zu. Um die gewaltige Öffnung herum war ein nicht weniger gewaltiges Relief in den Stein gemeißelt, sodass der Eindruck entstand, das Tor wäre das weit aufgerissene Maul eines brüllenden Löwen. Es wurde schwer bewacht, und Teriasch fiel auf, dass die Soldaten den Weg durch das Tor nur denjenigen freimachten, die entweder aufgrund ihrer teuren Kleidung und ihres Gebarens als wohlhabende Freie zu erkennen waren oder die zusätzlich zu ihrem Kollare noch einen gut sichtbaren Reif aus Silber um das rechte Handgelenk trugen. Infolgedessen herrschte jenseits des Tores deutlich weniger Gedränge.
Ihm entging auch nicht, dass sein untersetzter Begleiter einen langen Blick auf das Tor warf, ehe Rukabo leise knurrte, den Kopf schüttelte und seine Schritte beschleunigte. »Was liegt hinter dieser Mauer?«, fragte Teriasch.
»Das eigentliche Herz von Kalvakorum und des gesamten Dominums.« Rukabo spuckte geräuschvoll aus. »Dahinter leben die Numates in ihren Villen. All die Bürger, die es damit zu Wohlstand gebracht haben, den Speichel des Dominex und seines Vaters zu lecken, als wäre es der süßeste Honig. Siehst du die große goldene Kuppel in der Mitte da?«
Teriasch nickte.
»Dort steht der Palast des Dominex«, sagte Rukabo. »Dort wacht er angeblich über das Haus, in dem alle Häuser sind. Von einer Kammer an der Spitze der Kuppel aus, die man nur betreten darf, wenn er einen zu sich ruft. Und diese Ehre, den Dominex in all seiner Pracht zu erblicken, wird nur den allerwenigsten zuteil.« Er schürzte die Lippen. »Selbst ich habe ihn nie selbst gesehen. Und ich habe immerhin meine gesamte Jugend in seinen Gärten verbracht. Und glaubst du, ich hätte ihn dort je beim Lustwandeln ertappt? Nein. Meine Eltern fanden es nicht weiter schlimm, für einen Herrn zu arbeiten, der sich ihnen nie zeigte und sich anscheinend auch nichts aus den Blumen machte, die sie für ihn züchteten. Sie waren schon damit zufrieden, dass der Dominex wenigstens das Obst aus ihren Hainen zu schätzen wusste. Ihnen reichte es, wenn der Pollox vorbeischaute, um die Früchte abzuholen, von denen niemand außer dem Dominex kosten darf. Sie waren die eitelsten und einfältigsten Obstbauern der Welt, wenn du mich fragst, und …«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum darf nur der Dominex diese Früchte essen?«
»Weil er es eben so will«, sagte Rukabo scharf. »Genau wie er will, dass die Bäume, an denen diese Früchte wachsen, mit nichts anderem gegossen werden als mit Wasser, das eigens aus dem Turm des Wassers zu genau diesem Zweck herbeigeschafft wird. Er ist der Dominex. Er kann tun und lassen, was er will. Er könnte den lautesten Furz aller Zeiten lassen, und hinterher würden sich alle noch für die schöne Musik bedanken.«
Schweigend gingen sie eine Weile weiter, immer an der Mauer entlang. Als sie in den Schatten des Turms der Erde traten und Teriasch froh darüber war, endlich aus der Sonne herauszukommen, rieb Rukabo sich plötzlich die Hände und griff dann nach der Geldbörse, die um seinen Hals hing. »Ha! Wir sind gleich da! Mal schauen, wie gut ich Kaupodor um den Finger gewickelt kriege.«
Rukabo hielt zielstrebig auf ein Haus direkt gegenüber der Mauer zu. Die Läden eines breiten Fensters im Erdgeschoss waren aufgeklappt. Auf der samtgepolsterten Fensterbank lagen Kleinodien und Geschmeide ausgebreitet. Zwei grobschlächtige Kerle mit dornengespickten Handschuhen, die links und rechts des Fensters lässig an der Wand lehnten, hatten offenbar die Aufgabe, diejenigen Kunden abzuschrecken, die es mit dem Bezahlen nicht sonderlich genau nahmen.
»Na, Kaupodor?« Fröhlich winkte Rukabo dem Mann zu, der auf der anderen Seite des Fensters saß und gelangweilt mit einem goldenen Stäbchen in den Lücken zwischen seinen schief stehenden Zähnen herumstocherte. »Lust auf ein gutes Geschäft?«
»Rukabo …« Kaupodor nahm das Stäbchen aus dem Mund und verzog das lange Gesicht. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nicht so recht wusste, was er widerlicher fand: den gelblichen Batzen auf der Spitze seines Zahnstochers oder den Halbling vor ihm. »Wie ich sehe, hat dich endlich mal einer erwischt.«
»Das?« Rukabo fasste sich an sein Kollare. »Das ist nur eine vorübergehende Angelegenheit.« Er wedelte mit der Geldbörse. »Und tu bitte nicht so, als ob du keine Geschäfte mit Sklaven machen würdest.«
Das helle Klimpern aus dem
Weitere Kostenlose Bücher