Heldenzorn: Roman (German Edition)
legte, worunter früher ein Herz geschlagen hatte, und murmelte ein rasches Gebet an die Ahnen. Auch wenn sie mich von hier nicht hören können und auch wenn diese Haut nicht hierhergehört, in dieses falsche Zelt. Wer immer sie abgezogen hatte, hatte seine Schnitte entlang des Rückgrats und der Gliedmaßen sorgsam und klug gesetzt. Keines der Hautbilder hatte Schaden genommen. Nicht die Dreiecke auf den Oberarmen, die verrieten, dass Tamni eine gute Bogenschützin gewesen war. Nicht die geschwungenen Haken auf ihren Fersen, die belegten, dass sie ein Pferd schneller zu reiten wusste als andere aus ihrer Sippe. Und auch nicht die Schnur von Tropfen von ihrem Nabel zu ihrem Schamhügel, die bezeugte, dass ein Mann um sie geworben und sie für sein Zelt gewonnen hatte.
Teriasch drehte sich zu Nesca um. Sie hat nichts von einem Harten Menschen an sich. Sie redet wie eine von ihnen, das schon, und sie tut auch sonst, was die Harten Menschen so tun, aber sie sieht nicht aus wie einer von ihnen. Sie sieht aus wie eine von uns. »Der Dominex ist dein Vater?«
»Ja, aber er sagt, ich wäre meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten«, sagte sie ohne jeden Argwohn. »Ich war noch ein Kind, als sie gestorben ist. Trotzdem erinnere ich mich an alles, was sie mir über ihr Volk und die Steppe erzählt hat. An all die Legenden. Von Oschisesa, der dem Wind das Geheimnis entriss, wie man singt. Vom sturen Wanahoni, der nicht zu den Bergen ziehen wollte, sondern erwartete, dass die Berge zu ihm kommen, und der dann bei seinem langen untätigen Sitzen selbst zu einem Berg wurde. Und von Wikasa Yata, der eine Feuerseele wie du war und der den Häuptling der Schakale dazu zwang, dass er und seinesgleichen keine Jagd mehr auf Menschen machen.«
»Das hat sie dir also alles erzählt?« Teriasch wehrte sich nicht dagegen, dass ihre Unbekümmertheit seinen Groll weckte. Sie lebt einen Traum. Sie denkt, sie weiß alles, und dabei weiß sie nichts. Sie lebt im Haus ihres Vaters und hört das Volk ihrer Mutter nicht schreien. »Hat dir deine Mutter auch erzählt, wie sie ihrer Sippe gestohlen wurde?«
»Nein.« Nesca schüttelte den Kopf. Sie lächelte, wie man es tat, wenn man plötzlich befürchtete, sich einem Schwachsinnigen gegenüberzusehen, der einem bis eben noch ganz vernünftig vorgekommen war. »Sie ist niemandem gestohlen worden. Sie ist freiwillig aus der Steppe aufgebrochen, um sich meinem Vater hinzugeben.«
Teriasch wusste erst nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Da er auf keinen Fall vor diesem dummen Weib in Tränen ausbrechen wollte, entschied er sich für ein Lachen. »Hat sie das gesagt?«
»Ja. Was findest du daran so komisch?«
»Weil du nicht verstehst, dass sie dich nur vor der Wahrheit beschützt hat.«
»Welche Wahrheit?«
Teriasch fand großen Gefallen daran, ihr zu eröffnen, was sich wirklich zugetragen haben musste. »Sie wurde als Sklavin gefangen. Wie ich. Wie all die anderen, die dein Vater von der Steppe holen lässt. Bist du blind? Glaubst du tatsächlich, deine Mutter wäre einfach so nach Kalvakorum gekommen? Glaubst du, all die Sklaven, auf deren Rücken dein Vater und dessen Vater ihr Reich errichtet haben, führten ein so furchtbares Leben in ihrer Heimat, dass sie sich lachend und dankbar unter eure Knute begeben haben?« Er schlug sich vor die Stirn, um ihr zu zeigen, für wie dumm er sie hielt. »Dabei hatte deine Mutter sogar noch so etwas wie Glück, dass man sie damals schon verschleppt hat. Heute tötet ihr alle unsere Frauen, die ihr finden könnt, und lasst nur die Männer am Leben.«
»Das ist eine Lüge!«, rief Nesca. »Du bist ein Barbar. Du verstehst nichts von der Welt. Meine Mutter hat meinen Vater geliebt.«
»Deine Mutter war nicht mehr als ich«, entgegnete er ruhig, doch es erfüllte ihn mit einer tiefen Zufriedenheit, Tränen der Wut in ihren Augen glitzern zu sehen. »Sie war eine Sklavin. Sie musste sich dem Willen ihres Besitzers fügen, so wie es bei euch Gesetz ist, seit ihr auf die verlogenen Geister hört, die hier umgehen. Nehmen wir an, ich würde dich besteigen, weil du es von mir verlangst. Nehmen wir an, mein Same ginge in dir auf und du brächtest unser Kind zur Welt. Nehmen wir an, ich würde sterbenskrank, bevor es richtig für sich denken kann. Was würde ich ihm erzählen, wenn es mich fragt, ob wir beide uns lieben?«
Nescas Schlag kam so schnell, dass er nicht einmal vor ihm zurückzucken konnte. Es war ein ausgewachsener Fausthieb gegen das
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