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HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Und er schreibt so zurück: >Liebe Virginia, du weißt aber schon, dass es LIEBER Papa heißt? Hast du ein Problem mit deinem T9?<«
    »Was für ein Arschloch.« (Es fällt mir so schwer, mich darauf jetzt mit vollem Ernst zu konzentrieren, weil mir das so wahnsinnig altmodisch vorkommt etc.)
    Und das ist also das Begräbnis, das ich mir immer gewünscht habe: Ja also, mein Vater, meine Mutter, mein Kind und meine Geschwister und meine Großeltern sind tot.Weil meine Familie ausgelöscht wurde, bin ich aus einem mir unerfindlichen Grund zu einem Discountbestattungsunternehmen geworden plötzlich, in dem die untere Mittelschicht stirbt, wenn sie tot ist. Alles ist echt, aber es gibt Momente, in denen die Wahrheit ein Fake ist, Blumen, Tonnen von Duftstoffen, hölzerne Nägel, die wie Fingernägel lackiert sind, während ich mich durch eine Masse schlechtgekleideter Menschen kämpfe, die mich anstarren, ich gönne niemandem, der hässlicher ist als ich, mich dabei zu beobachten, wie ich weine oder unter dem Druck dieser weitverbreiteten Standardauffassung von Authentizität zu Boden
    sinke und glaubwürdig edelfies den Anschein einer kathartischen Wirkung aufrechtzuerhalten versuche.
    Ich will vierhundert Aktien erben und habe ausgerechnet, wie hysterisch ich bin, der Priester fragt mich: »Fällt dir etwas Gutes ein, was ich über die verwesenden Leichen deiner Familie sagen (ich muss etwas sagen, SAG ETWAS!) kann?« Und ich sage ihm, wie wunderschön sie alle waren. Niemand heult, die Leute sind nur gekommen, um mich anzustarren. Habe ich sie wirklich geliebt? Ich will ein Haustier, das sich im Kreis drehen kann. Die Schulleiterin Frau Pegler schreit am anderen Ende der Leitung:
    »Mifti, ich halte dich für den unmoralischsten Menschen, der mir je begegnet ist.«
    Ich will nicht, dass diese schreckliche Hartgeldnutte einen Fall von Lobotomie aus mir macht.
    »Was?«
    »Ich halte dich für den unmoralischsten Menschen, der mir je begegnet ist, und ich verlange, dass du dich auf der Stelle, genau in diesem Moment, egal ob dir vor zwei Sekunden irgendein großer Stein auf den Kopf gefallen ist oder nicht, ich verlange von dir, dass du dich in einen Regionalzug setzt, um in weniger als zwei Stunden in meinem Büro aufzutauchen.«
    »Na gut.«
    »Na gut?«
    »Frau Pegler, Sie wissen doch: Ich bin nicht in der Lage dazu, es Ihnen leichtzumachen, irgendeine Form von Vertrauen zu mir aufzubauen.«
    Herr Kroschinske streicht sich unnatürlich unangestrengt ein Haarbüschel aus dem Gesicht und guckt woanders hin und dann irgendwie doch wieder zu mir. Während er noch versucht, dem Impuls zu widerstehen, sich diesmal nicht auf die Seite einer knallneurotischen Schuldirektorin zu schlagen, sondern auf die eines Problemkindes, das vorgibt, durchreflektiert und deswegen unangreifbar zu sein, beende ich das Telefonat. Ich gebe ihm sein Handy wieder und mit einer lässigen Geste gleichzeitig fünf verschiedene Dinge zu verstehen: Von mir wird erwartet auf der Stelle alarmiert die Hufe zu schwingen, Frau Pegler ist eine unsichere Scheißfotze deren pädagogisches Fehlverhalten zwar unangebracht, aber nachvollziehbar ist, Sie sind ein echt cooler Lehrer und mir voll sympathisch, Ihre Frisur ist auch total cool, das von Ihnen vor unserem wirklich interessant gestalteten Konzentrationslagerbesuch ausgeteilte Arbeitsblatt werde ich zu Hause ausfüllen und übernächstes Jahr fehlerfrei im Rahmen eines meine folgenden dreihundert Fehltage ausgleichenden Referats der kompletten Klassengemeinschaft präsentieren. Herzlichen Dank, dass Sie sich darüber gefreut haben, mich zu sehen.
    Der Regionalzug, in dem ich zwanzig Minuten später sitze, heißt Helmut Schmidt.
    Ich versuche, mich zurück in die Grundstimmung des letzten Jahres zu steigern. Ein Zustand, in dem mir vor lauter produktiver Sentimentalität nichts anderes übrigblieb, als nachts mit Bleigewichten an den Knöcheln vor dem Spiegel auf in Techno gemixte Geigenpassagen zu tanzen. Jeder Track war eine Herausforderung. Ich hätte Strom gefressen, um länger als achtundvierzig Stunden ekstatisch über einen vollgekotzten Dancefloor springen zu können. Eine Zeit, in der fremde Leute im Regionalexpress »Krasse Choreographie« tuschelten, anstatt mich nicht zu beachten, eine Zeit, die von einer über jeden Überlebenswillen erhabenen Vorstellung dominiert wurde: der Vorstellung, die Alice und ich voneinander hatten - eine Antwort auf alle Fragen, die in der absoluten Intensität

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