Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
genauso oder so ähnlich erziehen zu wollen, wie man selbst erzogen wurde. Bestätigt wird dies durch die Shell-Jugendstudien. Im Vergleich der Shell-Jugendstudien 1985, 2000, 2002 und 2006 ergibt sich als markantestes Ergebnis, dass der Anteil der jungen Leute, die ihre Kinder anders erziehen wollen, als sie selbst erzogen sind, zu diesen Erhebungszeitpunkten von 37 über 20, 22, nochmals 20 auf zuletzt (2010) 19 Prozent gesunken ist.
Unterm Strich: Die Jugend der 2010er Jahre fällt kaum auf und kaum aus dem Rahmen. Sie bleibt eine Jugend ohne markante Eigenschaften. Es ist keine Distanzierung von ihren Eltern – eine Distanzierung, die ja eigentlich Wesensmerkmal von Jugend sein müsste – erkennbar, auch kein Anzeichen von «Sturm und Drang». Die Jugend hat sich arrangiert, vor allem, weil es die Eltern so wollen. Und die Phase der Jugend breitet sich weiter aus. Sie umfasst nicht mehr das Alter von 14 bis 25, sondern bald schon die Spanne von 10 bis 65. Die Ungehobeltheiten der Flegeljahre von früher findet man heute schon bei Grundschülern und dann bis hinauf ins Renteneintrittsalter.
Soweit keine gravierenden gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Umwälzungen anstehen, lässt sich von dieser Warte her prognostizieren, dass sich die Erziehung des intensiven Förderns, des Verwöhnens, des Überbehütens, des Abschirmens fortsetzen wird. Die Zeit, in der sich die Jungen ostentativ von den Alten absetzten, ist vorbei. Insofern ist zu erwarten, dass sich der zuletzt und aktuell praktizierte Erziehungsstil fortsetzt. Seit dem Jahr 2000, das weist die «13. Shell Jugendstudie 2000» nach, wird die Familie im Gegensatz zu früher wieder überwiegend als emotionaler Rückhalt und als Ort der Verlässlichkeit verstanden. Damit geht einher, dass sehr viel mehr deutsche Jugendliche als zuvor ihre Eltern als Vertrauensperson wahrnehmen. Der klassische Generationskonflikt hat sich also abgeschliffen. Mutter und Vater erscheinen als Partner, nicht als Widerpart.
Veränderte Lebenswelten
Allein was die biologische Reifung betrifft, sprechen Experten von einer säkularen Akzeleration: Heranwachsende werden immer früher geschlechtsreif, bis zu fünf Jahre früher als vor 200 Jahren, nämlich zwischen 11,5 und 12,5 Jahren. Um das Jahr 1800 war die Geschlechtsreife erst zwischen 16 und 17 Jahren eingetreten. Allerdings handelt es sich heute zumeist um eine asynchrone Akzeleration. Das heißt, die körperliche Reifung eilt der psychischen und sozialen Reifung weit voraus. Die psychische und die soziale Reifung hält oft nicht Schritt mit Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die noch vor wenigen Jahrzehnten viel später einsetzten. Immer früher etwa haben Heranwachsende Sex. Den ersten Beischlaf hatten 1977 Geborene mit 15,6 Jahren, also in den Jahren 1992/1993. Heute findet das erste Mal rund zwei Jahre früher statt, also durchaus schon mit 13 bis 14 Jahren. Je niedriger der formale Bildungsgrad ist, desto früher geschieht es.
Das Jugendalter expandiert
Die Lebenszeit strukturiert sich neu, die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter werden fließend. Bereits Kinder genießen – wie beschrieben – die Segnungen der Konsum- und Freizeitgesellschaft, die bislang Erwachsenen bzw. allenfalls Jugendlichen zugestanden wurden. Die Dauer der Kindheit hat sich verkürzt, weil das Jugendalter immer früher beginnt. Letzteres endet immer später und überschneidet sich mehr und mehr mit dem Erwachsenenleben. Das hat nicht nur mit veränderten Lebensgewohnheiten, sondern unter anderem mit verlängerten Ausbildungs- und Studienzeiten zu tun. So waren etwa die Absolventen einer betrieblichen Lehre 1975 in Westdeutschland im Schnitt erst 19 Jahre alt, 20 Jahre später bereits 21 Jahre. Tendenziell starten die jungen Leute also immer später ins Berufsleben. Das bestätigt für Deutschland die Shell-Studie von 2010: Von den 20- bis 24-Jährigen waren im Jahr 1999 bereits 44 Prozent im Beruf, zehn Jahre später, 2009, waren es erst 37 Prozent. Dieser Trend hat auch damit zu tun, dass die Studierquote innerhalb dieses Jahrzehnts deutlich gestiegen ist.
Gewaltig verändert hat sich die Zahl der Kinder pro Paar. Rund ein Fünftel bleibt kinderlos, Paare mit akademischer Bildung sogar mit einem Anteil von rund einem Viertel. Soweit ein Paar Kinder hat, hat es zu 53,3 Prozent ein Kind, zu 36,0 Prozent zwei Kinder, zu 8,5 Prozent drei Kinder und zu 2,2 Prozent vier und mehr Kinder. In Ostdeutschland
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