Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
medialen Rundumkonsum vieler Kinder muss man zu einem Faktor eine Brücke schlagen, der sträflich vernachlässigt wird: dem Schlafmangel, den viele Jugendliche haben. Die nächtlichen Ruhezeiten der Kinder scheinen immer kürzer zu werden. Chronobiologen und Schlafforscher sehen darin eine wesentliche Ursache für Lernprobleme. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) berichtet bei einem Fachkongress in Berlin von einer Studie, mit der 2012 nach einer Befragung von 9000 Schülern und Azubis festgestellt wurde, dass diese wochentags im Schnitt nur sieben Stunden schlafen. Ein Fünftel der Befragten schläft sogar weniger als sechs Stunden. Da ist es kein Wunder, wenn laut Kinder- und Jugendpsychiatern 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen Schlafstörungen haben und mittlerweile sogar für Kinder Schlafambulanzen eingerichtet wurden. Die Folgen können nicht überraschen: Der Schlaf wird im Unterricht nachgeholt – getreu dem alten Schülerkalauer: Lieber eine Stunde Unterricht als überhaupt keinen Schlaf.
Die Verkürzung der Kindheit, ferner die immer kleineren Familien, die immer älteren Eltern, der Medienkonsum und das Schlafdefizit – das sind einige der Faktoren, die Kindheit verändern. Die Pädagogik hat davon noch zu wenig Notiz genommen.
Kinder als Last?
Dies alles ist mitverantwortlich dafür, dass der Anteil der überreflektierend oder voller Skrupel erziehenden Eltern immer größer geworden ist. Auf dass das Kind nur ja keinen Schaden nehme und keine Förderung versäume – kein Wunder, dass Kinder oft in erster Linie als Belastung gesehen werden. Tatsächlich präsentierte das Institut für Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg auf dem 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bereits 1998 in Dresden eine Studie, der zufolge sich deutsche Eltern von denen in den USA, in Südkorea und in Österreich in genau dieser Hinsicht unterscheiden. Demnach werden Kinder in Deutschland häufiger als Belastung empfunden, und sie beeinträchtigen offenbar die Beziehung der Eltern. In anderen Ländern wird die Geburt eines Kindes eher als Geschenk angesehen.
Mütter im Dauerstress
«Wie oft fühlen Sie sich durch Ihren Erziehungsalltag gestresst?», fragte das Institut Sinus Sociovision 2007 (siehe Tanja Merkle und Carsten Wippermann 2008). Nur rund ein Fünftel aller Eltern gab an, sich «selten oder nie» gestresst zu fühlen. 50 Prozent haben dieses Gefühl «gelegentlich», 25 Prozent «oft», 7 Prozent «fast täglich». Wie dieses Gefühl des Gestresstseins sich dann realiter im Erziehungsverhalten von Eltern widerspiegelt, ist individuell sehr unterschiedlich. In einem Fall wird daraus eine Profimama. Sie verwirklicht sich im «Projekt Kind», und sie will aus ihrem Zuhause ein Paradies machen. Sie organisiert den Tagesablauf der Sprösslinge und würde am liebsten deren komplettes Leben durchplanen. In einem anderen Fall wird daraus eine ehrgeizige Vollzeitgluckenmutter. Wenn sie denn schon keinen Job hat, will sie wenigstens als Mutter perfekt sein. Oder sie will eben alles schaffen: super im Beruf und perfekt zu Hause zu sein. Ein Anspruch, der scheitern muss – und zulasten der Kinder geht.
Und die Väter?
Von Vätern findet man Anfragen und Selbstdarstellungen, wie man sie von den überbesorgten Müttern kennt, im Internet kaum. Auch im Schulalltag, bei Elternabenden und in Sprechstunden machen sie sich eher rar. Wo bleiben also die Väter? Sie machen sich zumeist unsichtbar, auch heute noch – Ausnahmen bestätigen die Regel. Ist Erziehung also bis zum Beginn des zweiten Lebensjahrzehnts zu einer feminisierten Zone geworden, mit Mutter, Kindergartenerzieherin, Grundschullehrerin? Dass dies weder für Jungen noch für Mädchen gut sein kann, wird auch die Gender-Forschung zugeben müssen.
Und sonst? Gibt es noch Väter im klassischen Verständnis? Oder sind viele nicht bloßes Abbild von Mutter, Vaterattrappen als totale Frauen- und Kinderversteher? Sind manche sogar noch (über-)vorsichtiger als Mütter? Die «ödipale Mauer», die Väter für heranwachsende junge Männer laut Robert Bly («Die kindliche Gesellschaft – Über die Weigerung erwachsen zu werden», 1997) eigentlich sein sollten, gibt es kaum noch. Die Väter nehmen ihre Aufgabe, Grenzen zu setzen, nicht mehr wahr. Die Kinder, so Bly, würden dann schnell merken, dass sie an die Macht gekommen sind. Also hätten die Väter allen Grund, sich um Erziehung zu
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