Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
mehr Erfolg. Wer liest, kommt weiter im Beruf. Wer liest, hat einen Wissensvorsprung und kennt die Wege zu vielen Informationsquellen. Wer liest, wählt besser aus, was er sehen will, und profitiert mehr vom Fernsehen. Wer liest, kann seine Freizeit aktiv gestalten und hat mehr von seinen Hobbys. Wer liest, kommt mit Problemen und Krisen im Leben besser zurecht. Wer liest, lernt die Biographien anderer Personen kennen und erweitert so seinen eigenen Lebenshorizont. Wer liest, entwickelt seinen eigenen Standpunkt als mündiger Staatsbürger. Wer liest, verschafft sich den Zugang zum kulturellen Leben.»
Der andere wichtige Bereich der Förderung ist der der Motorik. Unsere Kinder betätigen sich zu wenig körperlich, zu wenig sportlich. Es gibt auch zu viele Befreiungen vom Sportunterricht. Laut Kinder- und Jugendgesundheitsstudie (KiGGS 2007) des Robert-Koch-Instituts bewegen sich nur 15 Prozent der Kinder pro Tag mindestens eine Stunde, nur 45 Prozent der 6- bis 10-Jährigen sind täglich im Freien.
Die Hälfte bis zu zwei Drittel der 8- bis 18-Jährigen haben Haltungsschwächen; die Hälfte der Kinder ist nicht in der Lage, 30 Sekunden den Einbeinstand auszuführen, ein Drittel der Erstklässler ist eingeschränkt beweglich. Eine Studie über die Fortbewegungsweisen der Menschen in Großbritannien ergab, dass sich bereits in den 1980er und 1990er Jahren die von Kindern jährlich zu Fuß zurückgelegten Distanzen um 20 Prozent und die durchschnittlich mit dem Fahrrad bewältigten Strecken um 27 Prozent verringert haben. Übrigens: In Deutschland haben wir immer mehr Nichtschwimmer, laut Deutscher Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) 2010 ist es rund ein Drittel der Heranwachsenden, die nicht schwimmen können. Die Gründe dafür sind bekannt: Einerseits nehmen sich viele Eltern nicht die Zeit, mit ihren Kindern schwimmen zu lernen, andererseits werden zu viele Schwimmbäder geschlossen oder in reine Spaßbäder umgewandelt. Kinder sollten aber mit fünf Jahren schwimmen können.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff (2010 und 2011) berichtet davon, dass Mitte der 1990er Jahre die Störung der Motorik im Kleinkindalter etwa bei 20 Prozent der Kinder zu sehen war. Heute sei die Schallmauer von 50 Prozent durchbrochen, Tendenz steigend. Probleme gibt es im Bereich der Grob- und im Bereich der Feinmotorik. Viele Heranwachsende können keine koordinierten Bewegungen vollziehen, in der Feinmotorik hat das sogar Auswirkungen auf die Schreibmotorik.
All dies hat zunächst negative gesundheitliche Folgen. Muskelatrophie und Kreislaufschwächen gibt es bereits bei Kindern. Und weiter: 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von drei bis 17 Jahren sind übergewichtig, und zwar je älter, desto häufiger. Ähnliches gilt für Adipositas: 3- bis 6-Jährige sind mit einem Anteil von 2,9 Prozent adipös, 6,4 Prozent sind es bei den Sieben- bis Zehnjährigen, 8,5 Prozent bei den 14- bis 17-Jährigen. Unsere Kinder werden immer häufiger zu Couch Potatos – zu Dickerchen, die nur noch auf dem Sofa oder vor dem Computer hocken.
Damit mangelt es den Kindern nicht nur an Bewegung, sondern an motorischer Energieabfuhr. In so manchen Fällen ist das mit ein Grund für die zunehmende Häufigkeit der Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Laut Kinder- und Jugendgesundheitsstudie KiGGS 2007 des Robert-Koch-Instituts wurde ADHS bei insgesamt 4,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen diagnostiziert. Weitere 4,9 Prozent können als Verdachtsfälle gelten – bei Jungen übrigens um den Faktor 4,3 häufiger als bei Mädchen. Krankenkassen wie die Barmer (BEK) berichten 2013 davon, dass das früher nach einer Geschichte im «Struwwelpeter» des Psychiaters Heinrich Hoffmann von 1845 benannte «Zappelphilipp»-Syndrom in Deutschland heute etwa 750000-mal vorkomme. Davon wird die Hälfte mit Methylphenidat – der Handelsname ist Ritalin – behandelt. Überhaupt hat der Verbrauch von Stimulanzen zur Therapie von ADHS in etwas mehr als zehn Jahren ohne Rücksicht auf die sehr riskanten Langzeitfolgen einer Ritalindauertherapie um das 30-fache zugenommen. Dass ADHS in vielen Fällen mit falscher Erziehung zu tun haben könnte, wird systematisch ausgeblendet.
Jedenfalls verhindert der fortschreitende Verlust an motorischer Primärerfahrung neben einem gesunden körperlichen Aufwachsen den sehr günstigen Mitnahmeeffekt, den Bewegung für die Intelligenzentwicklung mit sich bringt. Bewegung
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