Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
attribuiert, die Ursachen von Misserfolgen also anderen zugeschrieben: den Lehrern, der Schule, dem System. Verdiente oder auch unverdiente Erfolge dagegen werden internal attribuiert, als Ergebnis des eigenen Handelns gewertet.
Kinder wollen und können etwas leisten
Viele Eltern – und Lehrer – machen es den Kindern zu einfach, sie muten ihnen zu wenig zu, und sie trauen ihnen zu wenig zu. Sie meinen, allen Stress dieser Welt von Kindern fernhalten zu müssen, sie haben nicht verinnerlicht, dass Erziehung viel mit dem Prinzip Subsidiarität zu tun hat, will sagen: Der Kleinere, Schwächere, Jüngere soll erst einmal seine eigenen Kräfte mobilisieren, ehe der Größere, Stärkere, Ältere seine Hilfe anbietet und eingreift. Den Jüngeren sollte aber vor allem eines vorenthalten bleiben: ein Gestöhne wegen Stress.
Nichts geht ohne Anstrengung. Im Sport und in der Musik ist dieser Grundsatz Gemeingut, in der Schule nicht. Eine um sich greifende Wohlfühl-, Gute-Laune-, Spaß-, Erleichterungs- und Gefälligkeitspädagogik schadet unseren Kindern. Progressive Pädagogen und Bildungspolitiker tun so, als gingen Bildung und Lernen ohne Anstrengung. In der Folge werden die Ansprüche heruntergefahren: Der mutter- und der fremdsprachliche Wortschatz wird drastisch gekürzt, ein Auswendiglernen von Gedichten findet fast nicht mehr statt, das Einprägen von historischen oder geographischen Namen und Daten gilt als vorgestrig, Grundschüler dürfen am Anfang gegen jede Orthographieregel «phonetisch» schreiben (Motto: «Wenn Falsches richtig ist»), die lateinische Ausgangsschrift soll durch die sogenannte Grundschrift ersetzt werden, Deutschprüfungen bestehen zum Teil im Ankreuzen von Multiple-Choice-Aufgaben oder im Ausfüllen von Lückentexten. Die Beispiele sind Legion. Dass diese Erleichterungsattitüde falsch ist, wussten Generationen von Eltern und Lehrern seit der Antike.
Trotzdem wurden Leistung und Anstrengung vor allem von einer von den 68ern geprägten Pädagogik schier zu Missgunstvokabeln. Da ist im Zusammenhang mit Schule immer noch und in übler Weise die Rede von «Leistungsstress», «Leistungsdruck», «Leistungsterror». Wer Leistung und Anstrengung aber zu Missgunstvokabeln macht, versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft. Denn wer das Leistungsprinzip bereits in der Schule untergräbt, setzt eines der revolutionärsten demokratischen Prinzipien außer Kraft. In unfreien Gesellschaften sind Geldbeutel, Geburtsadel, Gesinnung, Geschlecht Kriterien zur Positionierung eines Menschen. Freie Gesellschaften haben an deren Stelle das Kriterium «Leistung» vor «Erfolg» und «Aufstieg» gesetzt. Das ist die große Chance zur Emanzipation für jeden Einzelnen. Ganz zu schweigen davon, dass der Sozialstaat nur dann funktioniert, wenn er von der Leistung von Millionen von Menschen getragen wird. Wenn aber laut zweiter JAKO-O-Bildungsstudie von Emnid im September 2012 von 3000 befragten Eltern nur 28 Prozent meinen, die Betonung des Leistungsprinzips in der Schule sei wichtig, dann läuft etwas schief.
Glaubt man der «Elefanten-Kinderstudie 2011–2012» des Kinderschutzbundes, dann fühlt sich jedes dritte Kind bereits in der zweiten und dritten Grundschulklasse durch die Schule gestresst – darunter 10 Prozent «sehr oft gestresst» und 15 Prozent «oft gestresst». Und noch mehr Stress wollen Eltern an ihren Kindern im verkürzten achtjährigen Gymnasium (G8) entdeckt haben. «Zwei Nachmittage Unterricht bereits für Dreizehnjährige, das ist doch Wahnsinn», so schallt es durch die Gazetten. Dass im G8 insgesamt – auf die Gesamtschulzeit bezogen – erheblich weniger Unterricht stattfindet als im G9, dass die Regeln für die Berechnung der Noten und für das Sitzenbleiben im G8 weitgehend liberalisiert wurden, dass die Noten bis hin zum Abitur immer besser ausfallen, dass die Lehrpläne zu Leerplänen entschlackt wurden – das spielt alles keine Rolle.
Es liegt die Vermutung nahe, dass der Schulstress in Deutschland eher ein vermeintlicher und nur gefühlter ist. Schaut man sich die Zahl der Unterrichtsstunden – in 60-Minuten-Einheiten umgerechnet – für 7- bis 14-Jährige an, so liegt Deutschland mit 6322 Stunden deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 6862 Stunden und massiv unter Ländern wie England mit 7258 und Frankreich mit 7432 Stunden (Quelle: dpa-Infographik 2013).
Interessant ist der internationale Vergleich auch beim Stressempfinden.
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