Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
sehr subjektiv, oft ist es eine eingebildete Trennlinie. Für Deutschland muss man annehmen, dass vieles an Dysstress gefühlter Dysstress ist.
Der damals höchst renommierte Motivationsforscher Heinz Heckhausen hat uns bereits vor mehr als 30 Jahren vermittelt: Eine 100-Prozent-Erfolgsgarantie-Erziehung kann und soll es nicht geben. Und: Lern- und Leistungsmotivation sind eine Sache des Anspruchsniveaus. Bei allem Vorgeben von Aufgaben und Pflichten sollten sich gerade bei Kindern zwei Aussichten die Waage halten: die Hoffnung auf Erfolg und die Furcht vor Misserfolg. Physiologisch betrachtet kommt es dann nämlich zu einer nicht zu hohen, aber auch nicht zu niedrigen Ausschüttung des Hormons Adrenalin. Das heißt: Kinder müssen eine Chance auf Erfolg und ein Recht auf Irrtum haben. Sind die Erfolgsaussichten nahe bei hundert Prozent, dann ist man unterfordert und langweilt sich. Sind die Erfolgsaussichten zu gering, so resigniert man und steckt zurück.
Alles aber sofort zugesprochen zu bekommen und sich für nichts anstrengen zu müssen, das geht nicht gut. Vor allem rauben wir unseren Kindern damit die Chance, auf sich selbst stolz sein zu können. Jedenfalls könnten unsere Kinder erheblich mehr, als wir ihnen zutrauen. Kinder sind nicht aus Zuckerwatte.
Das Glück der Kinder hängt nicht davon ab, dass sie verwöhnt werden. Schon Aristoteles schrieb: «Glück ist die Folge einer Tätigkeit.» Der alte Römer hat gesagt: «Per aspera ad astra». Sinngemäß heißt das: Nur über beschwerliche Wege gelangt man zu den Sternen. Die Griechen hatten es noch drastischer ausgedrückt: Ὁ μὴ δαρεὶς ἄνθρωπος οὐ παιδεύεται (Ho mē dareis anthropos ou paideuetai). Auf Deutsch: «Der Mensch, der nicht geschunden wird, wird nicht erzogen.» Es ist dies ein Zitat aus den Werken des griechischen Komödiendichters Menander, das Goethe an den Beginn seiner Autobiographie «Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit» stellte. Oder anders auf den Punkt gebracht: Glück und Stolz können erst nach der Investition von Sitzfleisch, Schweiß, Ausdauer und Beharrungsvermögen entstehen.
Einen bislang verwöhnenden Erziehungsstil jedoch zu ändern oder gar abzustellen ist ein Kraftakt. Kinder, die der Verwöhnung entwöhnt werden sollen, reagieren nämlich mit heftigen Entzugserscheinungen – von inszenierter Hilflosigkeit über Schmollen und Abbrechen der Kommunikation bis hin zu Widerstand und Destruktion. Die Entwöhnung von Verwöhnung will also erst einmal durchgestanden sein. Dieser Kraftakt dürfte aber notwendig sein, gerade mit Blick auf die weitere Vita eines jungen Menschen. Hier kann man einmal mehr Albert Wunsch nur beipflichten, wenn er in seinem Buch «Die Verwöhnungsfalle» (2000) schreibt: «Wer häufig für ein Kind handelt, es zu lange füttert, anzieht, ihm die Spielutensilien wegräumt, bei Konflikten sofort Partei für das Kind ergreift, für die Folgen von Missgeschick, Fehlverhalten oder Streit stellvertretend eintritt, sollte möglichst früh nach einem Menschen Ausschau halten, der diesen Job später, spätestens nach dem eigenen Lebensende, übernimmt.»
Fördern durch Lesen und Bewegung
Die beste intellektuelle Förderung ist Erzählen, Vorlesen, Lesen. Deshalb brauchen unsere Kinder vor allem eine Offensive für das Lesen. Das gilt zunächst und ganz besonders für die Familien: Wenn die Eltern zu Hause nicht für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sorgen und in deren Nutzung nicht Vorbild sind, dann lesen die Kinder eben kaum. In den Worten des Schriftstellers Willi Fährmann heißt das: «Die klugen Mütter und Tanten der Leseerziehung sind das Erzählen und das Vorlesen zu Hause. Hier finden entscheidende intellektuelle Prägungen statt.»
Auch im Zeitalter immer leistungsfähigerer Informationstechnologie geht es um die Fähigkeiten, sinnentnehmend zu lesen, verständlich zu schreiben, Wichtiges und Unwichtiges voneinander zu unterscheiden sowie Informationen zu sortieren und zu bewerten. Das heißt: Wer sich in einem Buch und in einer Bibliothek nicht auskennt, der kennt sich auch auf dem Computerbildschirm und im Internet nicht aus.
Wie wichtig das Lesenwollen und das Lesenkönnen für Kinder ist, hat die «Stiftung Lesen» schon vor mehr als 20 Jahren überzeugend in ihren nachfolgend zitierten «Zehn Argumenten für das Lesen» zusammengepackt: «Wer liest, entwickelt Phantasie und Kreativität. Wer liest, kann sich besser ausdrücken und hat beim Lernen
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