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Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)

Titel: Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Kraus
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Aufschlussreich ist hier die Studie «Health Behaviour in School-Aged Children (HBSC)», die 2011 im Auftrag der World Health Organization (WHO) herausgegeben wurde und in die Jungen und Mädchen im Alter von 11, 13 und 15 Jahren aus 39 Ländern und Regionen Europas und Nordamerikas einbezogen waren. Für Deutschland trägt die Studie den Titel «Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter». Einige Ergebnisse daraus: Schulstress empfinden in Deutschland unter den 15-Jährigen 28 Prozent der Mädchen und 26 Prozent der Jungen. Beim vielgerühmten PISA-Sieger Finnland sind es 67 Prozent der Mädchen und 54 Prozent der Jungen. Am hinteren positiven Ende der internationalen Rangskala finden sich die Deutschen 11-, 13- und 15-Jährigen bei der Angabe gesundheitlicher Beschwerden. Die Gleichaltrigen haben nur in Slowenien, Belgien und Österreich noch seltener solche Beschwerden.
    Interessant wäre es gewesen, Werte aus China, Japan, Südkorea oder Singapur zu bekommen. Dort ist die Beanspruchung der Schüler wahrlich eine andere, nämlich eine exorbitant größere. Das heißt aber nicht, dass der von den Kindern dort empfundene Stress größer ist als der unserer Kinder hier. Eltern und Kinder aus dem Fernen Osten und aus manchen osteuropäischen Staaten schütteln bestimmt den Kopf über das, worüber wir uns grämen. Darin würde sich deren klammheimliche Hoffnung mischen, dass exakt diese Bequemlichkeitsattitüden der Grund sein könnten, warum beispielsweise die Asiaten die Deutschen und andere westliche Staaten demnächst überholt haben werden. Denn es ist ja nicht nur die ausgeprägtere Leistungsbereitschaft, die sie den Westlern voraushaben. Sie haben obendrein einen Vorsprung, weil sich die Westler nicht selten maßlos überschätzen. Harold Stevenson von der Universität von Michigan hat so in einer Studie festgestellt, dass amerikanische Kinder Schülern in Japan, Taiwan und China weit voraus sind, was ihre Selbsteinschätzung im Fach Mathematik betrifft.
    Wenn manche Schüler in Deutschland doch nur einen kleinen Bruchteil der Zeit, die sie vor irgendwelchen Mattscheiben, Bildschirmen und Mäusekinos verbringen, für das schulische Lernen opferten. Die Mediennutzung ist nämlich nicht selten etwas anderes als eine Methode, Zeit zu vernichten und sich in einem passiven Dasein einzurichten. Vor dem Bildschirm wird wahrlich viel Zeit verbracht. Die Wochenenden mit einbezogen, kommen hier mehr Stunden zusammen als in der Schule. Dazu noch einmal die HSBC-Studie: Den eigenen Fernsehkonsum an Schultagen geben 56,8 Prozent mit zwei und mehr Stunden an, und zwar Jungen und Mädchen nahezu gleichermaßen. Abweichungen gibt es allerdings schichtspezifische: Bei niedrigem familiärem Wohlstand sind es rund 65 Prozent mit zwei und mehr Stunden, bei hohem familiärem Wohlstand rund 53 Prozent. Die tägliche Nutzung von Computern und Spielkonsolen geben 24,9 Prozent der Mädchen und 41,8 Prozent der Jungen mit zwei und mehr Stunden an. Klar, diese Schüler sind überfordert, aber nicht durch die Schule, sondern durch all die Freizeitaktivitäten, für sie ist das Zur-Schule-Gehen vielfach nur noch eine unangenehme Unterbrechung der Ferien bzw. der Wochenenden.
    Deshalb sollte man kritisch darüber nachdenken, ob wir unseren Kindern Stressgefühle nicht zu oft nur oktroyieren. Und: Lernen und Schule werden damit schier zum Stress- und Schreckgespenst hochstilisiert. Eine sogenannte Reformpädagogik heizt diese Dynamik nicht ganz uneigennützig an und verspricht humanes Lernen. Für Alfred Schirlbauer (2012) ist «humanes Lernen» aber eine Mogelpackung. Denn der Erfolg der Reformpädagogik sei auf ihre «faszinierende denkerische Niveaulosigkeit» zurückzuführen. «Human» werde Schule in der Sicht der Reformer dann, wenn sie die Kinder kognitiv nicht (über)strapaziere. Schirlbauer weiter: «Wer den Kindern alle Lernprozesse, die nicht ihrem innersten Bedürfnis entstammen, ersparen will, verdirbt deren mögliche Lebenschancen.» Deshalb müssten wir uns eher um eine Intensivierung des Lernens kümmern als um seine Drosselung.
    Aus der Stressforschung wissen wir außerdem, dass es einen guten und einen schlechten Stress gibt – einen Eustress und einen Dysstress. Der Eustress ist positiv, er mobilisiert, hält fit, verlängert sogar das Leben, der Dysstress macht krank. Das Problem bei der Unterscheidung der beiden ist: Es gibt keine objektive Trennlinie zwischen beiden. Diese Trennlinie ist

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