Helix
ganze Jahr lang auf die Öko-Woche. Wir haben die Kinder nicht einfach ins Camp gesetzt und gehofft, sie hätten eine schöne Zeit. Unsere wissenschaftliche Vorbereitung begann schon Monate vorher, und während unseres Aufenthalts führten wir Experimente durch – prüften den pH-Wert von Wasser und Boden, entnahmen Proben aus Baumstämmen, identifizierten Bäume auf Spaziergängen mit Augenbinden durch Geruch und Tastsinn, übten mit dem Kompass und lernten, uns zu orientieren, studierten die durch Gletscher gebildete Landschaft, suchten Eichhörnchenkobel, beobachteten Insekten mit Vergrößerungsgläsern, zeichneten die Erosion vom Granit des Pikes Peak über Kieselsteine bis hin zu Erdreich und Humus nach, beobachteten das Verhalten von höheren Tieren und Vögeln … so in etwa müssen Sie sich das vorstellen.
Gott, wie ich die Öko-Woche geliebt habe! (Ein Jahr, nachdem ich den Lehrerberuf aufgegeben hatte, stellte der neue Bezirkspräsident, ein kurzatmiger Typ aus irgendeinem Kaff in Wyoming, die Öko-Woche ein, die sechzehn Jahre lang für die Sechstklässler der Höhepunkt der Schulzeit gewesen war – angeblich, weil sie zu teuer war. Dann musste der Mann wegen eines Sexskandals aus dem Verkehr gezogen werden, und der Bezirk war gezwungen, ihn mit mehr als 200.000 Dollar abzufinden, nur um ihn loszuwerden. Aber die Öko-Woche wurde nicht wieder eingeführt.)
Sie werden meine Liebe zum Lehrerberuf in »Auf der Suche nach Kelly Dahl« wiederfinden, auch meine Liebe für das Lehren ökologischer Zusammenhänge – aber noch wichtiger als meine Liebe für das Lehren ist meine Liebe für das Lernen: das Erlernen wissenschaftlichen Denkens. Die Szene, in der Kelly Dahl die Klasse dazu bringt, den Mund zu halten und der Natur zu lauschen, hat sich auf die eine oder andere Weise tatsächlich bei allen unseren Öko-Wochen zugetragen.
Ich habe mich damals über die Befürchtungen von Beamten, Eltern, Schülern und vielen Lehrern hinweggesetzt und Nachtwanderungen veranstaltet. (Am Vorabend habe ich den hundert Kindern am Lagerfeuer immer die »Gronker-Story« erzählt und ihnen damit eine Heidenangst eingejagt – nach der »Gronker-Story« wollte niemand mehr allein nach draußen gehen.) Auf diesen Nachtwanderungen sind wir im Mondlicht oder bei Sternenlicht durch die Wälder gelaufen und haben sichere Orte gefunden, an denen wir allein sein und dreißig Minuten schweigen konnten. Für die meisten der Kinder, die in einer Stadt mit rund 60.000 Einwohnern aufgewachsen sind, war das vermutlich die erste Gelegenheit, einmal allein im Wald zu sitzen und dem Rascheln der kleinen Tiere, dem Flattern der Eulenflügel und dem Rauschen des Windes in den Zweigen der Ponderosakiefern zu lauschen. Es hat ihnen gefallen.
Ich bin nicht sicher, ob es ein Zufall ist, dass die 46 Hektar Bergland mit Hütte – das Gelände heißt »Windwalker« –, die ich schließlich kaufte, nicht weit vom Camp St. Malo entfernt liegen (dort befindet sich heute allerdings ein katholisches »Executive Conference Center«, in dem einmal Johannes Paul II. logierte – er ist tatsächlich mit seinen weißen Goldschnürchenlatschen im Gronker-Land wandern gegangen). Es war auch nicht unbedingt ein Zufall, dass sich nicht wenige der Sechstklässler, die an der Öko-Woche teilgenommen haben, später für wissenschaftliche Berufe entschieden, einige davon sogar im Bereich des Umweltschutzes. Eine dieser Schülerinnen schreibt in diesem Jahr eine Doktorarbeit über die Fortpflanzungsstrategien alpiner Pflanzen. Sie wandert jeden Tag in das Untersuchungsgebiet, wo, kalte 4000 Meter hoch über der Baumgrenze gelegen, ihre Sumpfdotterblumen stehen. Das Gelände liegt auf dem Niwot Ridge an der Kontinentabcheide, ungefähr auf halbem Weg zwischen Camp St. Malo und dem Kelly-Dahl-Campingplatz. Mir ist klar, dass weder die Öko-Woche noch ich diese Liebe für die Wissenschaft und das Leben im Freien in ihr geweckt haben – ihre Eltern hatten diese Neigung bereits ausgebildet, bevor sie ins sechste Schuljahr kam –, aber ich durfte sie begleiten, als sie ihre ersten ökologischen Feldforschungen betrieben hat.
Vielleicht meine liebste Szene in »Auf der Suche nach Kelly Dahl« spielt in einer solchen Tundra über der Baumgrenze, wo Kelly Dahl – falls es eine Kelly Dahl gibt – den Erzähler gleichsam anvisiert und telepathisch mit ihm kommuniziert. Sie beschreibt ihm ihre Liebe für die Poesie der Tundra mit Worten wie »Fjell, Wiesenmaus,
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