Hellas Channel
geringste dabei heraus«, wie mein seliger Vater zu sagen pflegte.
»Übernimm du die eine Straßenseite, und ich halte mich an die andere«, sage ich zu Sotiris. Er versteht, was ich meine, und steuert auf die Kurzwarenhandlung zu. Ich hingegen trete in den Kramladen.
Der Ladenbesitzer durchschneidet gerade einen Laib Käse. Dann schneidet er die Rinde ab und kaut auf ihr herum. Er hebt kurz den Blick zu mir und weiß sofort, wer ich bin.
»Geht’s schon wieder um die Albaner?« fragt er, während er die andere Hälfte des Käselaibs in den Kühlschrank zurückstellt.
»Wissen Sie, ob sie ständig hier gewohnt haben? Ich habe gehört, daß sie nur kurzfristig herkamen und immer wieder längere Zeit abwesend waren.« Der Hinweis der Dicken hat meine Neugier mehr angestachelt als der Fund der fünfhunderttausend Drachmen.
»Ich weiß nur, daß die Frau insgesamt zweimal bei mir einkaufen war. Das erste Mal für ein Päckchen Spaghetti und eine Margarine, das zweite Mal für ein Säckchen getrocknete Saubohnen.«
»Sie haben aber ein tolles Gedächtnis«, sage ich, um ihm zu schmeicheln und ihn zum Weiterplaudern zu verleiten.
»Was hat das mit meinem Gedächtnis zu tun! Mein Umsatz ist so niedrig, daß ich mir jeden Kunden so gut merke wie den Text der Nationalhymne.«
»Jedenfalls hätten sie öfter eingekauft, wenn sie ständig hier gewohnt hätten.«
»Also, entschuldigen Sie mal. Sie haben ja keine Ahnung! Die kommen zehn Tage lang mit einer einzigen Bohnensuppe aus.«
»Haben Sie irgendeinen Fremden bemerkt, der bei ihnen aus- und ein ging?«
»Was für einen Fremden?«
»Jemand, der nicht aus der Nachbarschaft stammt.«
An seinem Blick erkenne ich, daß er sich langsam auf den Schlips getreten fühlt. »Hören Sie mal gut zu, Herr Kommissar«, meint er. »Sie müssen ja wissen, wie Sie Ihren Job machen. Doch warum so viel Aufwand wegen zwei Albanern? Sie haben doch den Mörder erwischt, wieso hören Sie nicht auf herumzuschnüffeln? Zwei Albaner weniger und einer im Knast, reicht Ihnen das denn nicht?«
»Überlassen Sie das ruhig mir, ich weiß schon, was ich tue. Glauben Sie im Ernst, ich hätte nichts Besseres zu tun?« Ich mache kehrt und gehe zur Tür, als ich ihn hinter meinem Rücken sagen höre:
»Eines Abends, vielleicht vor einem Monat, habe ich einen Kleintransporter vor ihrer Tür stehen sehen.«
Ich halte abrupt inne. »Was denn für einen Kleintransporter?«
»So einen von diesen mehrsitzigen Kleinbussen, wie heißen die noch mal …? Es war stockdunkel, und ich konnte die Marke nicht erkennen.«
Während er das erzählt, räumt er seine Vitrine auf. Mir ist ein Rätsel, was er darin aufzuräumen hat, denn der Kühlschrank ist so leer wie eine Junggesellenbude. Eine luftgetrocknete Salami, eine Mortadellawurst, der halbe Laib Hartkäse und einige Päckchen Streichkäse. Und an der Wand, wo der Junggeselle seine Bücher aufgereiht hätte, lehnen dreißig bis vierzig Plastikbeutel mit Essiggurken.
»Vielleicht hat es ja auch gar nichts zu bedeuten«, fährt er fort, »aber ich habe es erzählt, weil ich ungern Kunden mit leeren Händen aus meinem Laden gehenlasse.«
»So viele Essiggurken ißt man in dieser Gegend?« frage ich ihn neugierig.
»Nicht unbedingt, es war ein Gelegenheitskauf im Großhandel. Aber die Ware bleibt liegen.«
»Warum haben Sie sich dann damit so eingedeckt, wenn es Ihnen keiner abkauft?«
»Wenn ich mich nicht so verkalkulieren würde, dann hätte ich keinen Laden in Renti, sondern wäre schon längst Supermarktbesitzer«, entgegnet er und läßt mich stehen.
Das letzte Häuschen am rechten Straßenrand, das dem Haus der Albaner schräg gegenüberliegt, hat eine grün gestrichene Tür, und durch ein winziges quadratisches Fenster von der Größe eines Kopfes kann man auf die Straße schauen. Das Fenster wird umrahmt von schneeweißen Leinenvorhängen mit einem roten Spitzenbesatz, der aus lauter kleinen Rauten besteht. Die beiden Teile sind jeweils am Fensterrand zusammengebunden. Man könnte die ganze Szenerie für die Kulisse eines Kindermärchens halten.
»Kann ich Ihnen eingelegte Pomeranzen anbieten?« fragt mich die Alte. Sie ist kleinwüchsig, verhutzelt und klapperdürr und geht wohl auf die Achtzig zu. Sie schleift ihre Füße über den Boden, als wollten sie bei jedem Schritt auf den Bodenkacheln klebenbleiben. Sie trägt ein geblümtes Hauskleid, und ihr Gesicht ist zerknittert wie ein Blatt Papier, das man zusammenknüllt und dann wieder
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