Hellas Channel
verwirrt ihn, denn sonst bin ich ihm gegenüber nicht so höflich distanziert.
»Ihr Verhalten ist inakzeptabel, Herr Kommissar«, sagt er jetzt in ebenso offiziellem Tonfall. »Sie können uns nicht so behandeln, wo doch gerade wir für die Wahrheitsfindung mit unserem Leben bezahlen.«
»Ich kann keine Erklärungen abgeben und Ihnen auch keinerlei Erkenntnisse der kriminalpolizeilichen Untersuchung mitteilen, bevor ich Sie nicht alle verhört habe.«
»Bevor Sie uns alle verhört haben?«
Mit einem Schlag geht ein Raunen durch die Reihen, das sich aus dreierlei Bestandteilen zusammensetzt: Verwunderung, Unruhe, Widerspruch. Zwei Tassen Wasser, vier Tassen Mehl und eine halbe Tasse Zucker, so beschreibt auch Adriani die Zutaten ihres berühmten Kuchens, der einem, unter uns gesagt, staubtrocken im Hals steckenbleibt.
»Es gibt Hinweise darauf, daß das Opfer den Mörder kannte. Sie alle zählen zu Karajorgis Freunden und Bekannten. Es ist logisch, daß wir Sie verhören müssen.«
»Stehen wir alle unter Mordverdacht?«
»Ich kann Ihnen vor dem Verhör keinerlei Ergebnisse der Nachforschungen offenbaren. Das ist alles. Morgen früh möchte ich Sie in meinem Büro sprechen, Presseinformation wird es aber auch dann keine geben.«
»Jeder ist als unschuldig zu betrachten – bis zum Beweis des Gegenteils. Im Zweifel für den Angeklagten: das ist ein fundamentaler Rechtsgrundsatz, den Sie vielleicht in der Polizeischule nicht gelernt haben.«
»Das betrifft nur die Rechtsverdreher. Für die Kriminalpolizei ist jeder als schuldig zu betrachten – bis zum Beweis des Gegenteils.« Damit dränge ich sie auf den Gang hinaus.
Hinter mir erhebt sich ein wütendes Protestgeschrei, das mich insgeheim befriedigt. Freilich wird mir Gikas morgen eine Standpauke halten, weil ich seine guten Beziehungen zu den Reportern ruiniert habe. Doch ich habe schon Schlimmeres überstanden.
10
S perantzas sitzt hinter dem ovalen Studiotisch, an dem er auch als Nachrichtensprecher agiert. Er sitzt alleine da, denn im Mitternachtsjournal tritt er ohne Flügeladjutanten auf. Er trägt kein Schnupftuch für Krokodilstränen in der Brusttasche wie jener andere Sprecher, dafür verkündet er die Nachrichten mit der Lautstärke eines Marktschreiers. Bei meinem Eintreten blickt er auf und kann sich nicht entscheiden, ob er sich ungehalten wegen der langen Wartezeit oder zu Tode betrübt wegen des Mordes an seiner Kollegin zeigen soll. Schließlich findet er einen Kompromiß und seufzt abgrundtief. Ich setze mich neben ihn, auf den Platz der jungen Kollegin, die sonst die Sportmeldungen präsentiert.
»Woher haben es die bloß alle so schnell erfahren?« frage ich und deute auf die im Flur versammelten Reporter, deren Geschrei bis zu uns dringt.
»Sie werden es in den Nachrichten gehört haben.«
Ich traue meinen Ohren nicht. »Haben Sie etwa den Karajorgi-Mord bereits in der Sendung gebracht, bevor Sie uns benachrichtigten?«
»Ganz Griechenland ist erschüttert«, sagt er unverhofft und voller Pathos. »Eine derartige Direktübertragung hat es noch nie gegeben. Die Telefonleitungen sind heißgelaufen. Ich war gerade auf Sendung, und es ging um die neuen Sparmaßnahmen der Regierung, da blenden sie mich aus heiterem Himmel aus und schalten einen Werbeblock dazwischen. Ich komme gar nicht dazu zu fragen, was los ist, als schon unser Aufnahmeleiter Manissalis hereinstürmt und mir sagt, daß Janna umgebracht wurde. Ich ordne sogleich an, einen zweiten Werbeblock einzuschieben, und schicke sofort einen Kameramann in den Schminkraum. Sowie ich wieder auf Sendung bin, sage ich mit niedergeschmetterter Miene: ›Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Augenblick spielt sich in unserem Studio eine Tragödie ab. Unsere Polizeireporterin Janna Karajorgi, von ihren Kollegen ›Schnüfflerin‹ genannt, wurde soeben grausam ermordet in einem Nebenraum aufgefunden. Wir kennen den Täter dieses abscheulichen Verbrechens noch nicht. Leider hat die Wahrheit viele Feinde. Hellas Channel , immer an vorderster Front im Dienste der Information, durfte Ihnen, verehrte Zuschauer, diese Nachricht nicht vorenthalten. Meine Damen und Herren, erfahren Sie die Nachricht von Janna Karajorgis tragischem Ende fast zeitgleich mit dem fatalen Verbrechen, noch bevor wir die Polizei in Kenntnis setzen.‹ Und zack, knalle ich die Großaufnahme des Schminkraums in den Äther, mit Janna in derselben Haltung, wie Sie sie vorgefunden haben. Hier geht es um ein
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