Hellas Channel
aufspießten, an Ivanhoe oder Richard Löwenherz . Nicht, daß ich das alles gelesen hätte – ich lese bloß Wörterbücher –, aber mein Vater hatte einmal den Versuch unternommen, mir Bildung zu vermitteln, und die ganze auf griechisch erschienene Serie der Classic Comics gekauft. Daraus bezog ich mein Wissen, aus den kleinen Heften mit ihren gedruckten Bildchen. Heute würde ich es aus dem Fernsehen beziehen.
»Was für ein Metallspeer war denn das?« frage ich Stelios von der Spurensicherung, der die Leiche fotografiert, damit man die Mordwaffe entfernen kann und Markidis, der Gerichtsmediziner, seine Arbeit tun kann.
»Ein Scheinwerferständer«, antwortet er, und der Blitz leuchtet viermal hintereinander auf. Er wechselt seine Position, und wiederum blitzt es viermal.
Als ich vorhin eingetreten war, hatte ich mich nur schnell umgeschaut, denn meine Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf die Karajorgi. Nun lasse ich meinen Blick nochmals umherwandern. Es handelt sich um einen großen Raum. Er wirkt wie die Schalterhalle einer staatlichen Krankenkasse oder irgendeines anderen öffentlichen Amtes. Nur die Glaswände mit den ovalen Sprechfenstern fehlen. Statt dessen läuft an der gesamten Wand neben der Eingangstür ein riesiger rechteckiger Spiegel entlang. Vor den nicht vorhandenen Schaltern stehen drei Stühle nebeneinander. Auf dem ersten sitzt immer noch die Karajorgi und wartet auf den Gerichtsmediziner. Die beiden anderen sind leer. Der dritte Stuhl blickt geradewegs in den Spiegel. Der zweite jedoch ist der Karajorgi zugewandt. Falls derjenige, der sie entdeckt hat, nicht in seiner Verwirrung den Stuhl verrückt hat, dann könnte das ein wichtiger Hinweis sein. Es saß jemand neben der Karajorgi und plauderte mit ihr. Wenn es ihr Mörder war, dann bedeutet das, daß sie ihn kannte und irgend etwas Vertrauliches mit ihm zu besprechen hatte.
In der gegenüberliegenden Ecke des Raumes sind Scheinwerfer und Spots gestapelt, einige liegen lose herum, und andere sind in ihre Halterungen geschraubt. Einige dieser Scheinwerferständer lehnen an der Wand. Er kam nicht mit der Absicht, sie zu töten, denke ich, sondern um mit ihr zu reden. Mit einem Mal drehte er aus irgendeinem Grund durch, packte einen Ständer und rammte ihn ihr in die Brust. Was war es, das ihn so außer sich brachte? Leidenschaft? Kollegenneid? Ein Racheakt von jemandem, den sie bloßgestellt hatte? Nur keine Eile, Charitos, es ist noch nicht aller Tage Abend. Zumindest aber habe ich eine Fährte aufgenommen, die ich weiterverfolgen kann. Falls sich denn herausstellen sollte, daß der Stuhl tatsächlich an dieser Stelle stand.
»Seid ihr fertig?« frage ich Dimitris, den anderen Techniker der Spurensicherung.
»Im großen und ganzen sind wir fertig. Wir packen gerade unsere Sachen zusammen.«
An der anderen Wand steht ein verschlossener Kleiderschrank. Ich gehe auf ihn zu und öffne ihn. Darin befinden sich Herrenanzüge und Damenkostüme verschiedener Modehersteller, die Moderatoren und Fernsehsprecherinnen einkleiden und als Gegenleistung ihren Namenszug auf den Bildschirm setzen dürfen. Ich trug zum ersten Mal eine Krawatte, als ich in die Polizeiakademie eintrat. Zugleich mit der Uniform kaufte ich die Krawatte. Einen Anzug erwarb ich erst, als ich die Ausbildung abgeschlossen hatte. Und zwar vom Lager einer Großfirma, die mit dem Motto ›Halbfertiger Anzug, halber Preis!‹ warb. Man brachte mir einen braunen Anzug voller Heftfäden zur Anprobe, in den ein zweiter Charitos hineingepaßt hätte. »Machen Sie sich keine Sorgen«, meinte damals der Verkäufer. »Deshalb kaufen Sie doch einen halbfertigen Anzug zum halben Preis. Damit wir ihn nach Ihren Maßen fertignähen und er Ihnen wie angegossen paßt.« Als ich ihn nach zwei Tagen abholte, hing der fertige Anzug genauso traurig an mir herunter wie der halbfertige. »Das bilden Sie sich nur ein«, erdreistete sich der Verkäufer, »er sitzt vielleicht jetzt noch nicht richtig, aber das kommt mit der Zeit.« In der Zwischenzeit brannte das Lager der Großfirma ab, und ich kletterte die gesellschaftliche Leiter hoch und zog in ein besseres Viertel. Und die Firma machte nach ihrer Neugründung Furore als Kostümverleih.
Ich durchsuche eilig die Klamotten, doch ich kann nichts finden. Die Damenkostüme haben gar keine Seitentaschen, und auch die Taschen der Herrenanzüge sind leer.
Ich kehre wieder zur Stelle zurück, wo Janna Karajorgi immer noch sitzt. Man hat ihr
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