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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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bestehend aus Brieföffner und Schere, in einer kostbaren Lederschatulle. Doch noch immer originalverpackt, vermutlich ein Geschenk, das sie nicht geöffnet hat. Hinten in der Schublade liegt ein Tischkalender mit dem Logo einer Versicherungsgesellschaft. Ich blättere ihn durch. Er ist leer, sie hat keinerlei Eintragungen gemacht.
    Ich stehe nachdenklich vor den geöffneten Schubladen, irgend etwas geht mir ab. Hatte sie denn gar keinen Terminplaner? Wer hat schon von einem Reporter ohne Terminplaner gehört? Dort ist alles vermerkt: Telefonnummern, Adressen, Geborgtes und Geliehenes, berufliche Kontakte und persönliche Bekanntschaften, Vorlieben und Abneigungen, Freundschaften und Feindschaften. Der Terminplaner, das Evangelium des heutigen Christen. Hatte die Karajorgi kein Evangelium? Ausgeschlossen. Wo war der Terminplaner also hingekommen? Üblicherweise tragen ihn die Leute bei sich, somit hätte er in ihrer Handtasche sein müssen. Dort war er aber nicht. Hatte sie ihn in ihren Schreibtisch eingeschlossen? Hier war er auch nicht. Hatte sie ihn zu Hause gelassen? Möglich, aber unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist, der Mörder hat ihn ihr abgenommen, entweder, weil er etwas darin suchte, oder, weil er belastendes Material gegen ihn selbst enthielt. Deshalb ließ er ihn verschwinden.
    »Delopoulos, der Chef des Senders, wartet in seinem Büro und möchte Sie sprechen«, sagt Sotiris, dessen Oberkörper sich durch die Tür hereinbeugt.
    »Gut. Sag ihm, ich komme gleich.«
    »Brauchen Sie mich noch, oder kann ich jetzt gehen?« fragt er vorsichtig.
    »Nein, bleib noch«, sage ich streng. »Geh den Wachschutzbeamten suchen, der gegen elf Uhr Dienst hatte und den Eingang bewachte. Er soll auf mich warten, weil ich mit ihm sprechen muß.«
    »Jawohl«, entgegnet er und zieht mürrisch ab. Ich könnte die Angelegenheit auch telefonisch aus Delopoulos’ Büro regeln. Doch es paßt mir nicht, wenn der Vorgesetzte die Nacht durcharbeitet und der Untergebene in seinem Bett vor sich hinschnarcht. Alle diese jüngeren Kollegen sind verhätschelte Muttersöhnchen, sie wollen den ganzen Tag im Büro absitzen und sich über ihre Hyundai Excels und Toyota Starlets unterhalten. Wenn es in ihrer Macht stünde, würden sie ein Rundschreiben herausgeben, das vorsieht, alle Verbrechen sollten ausschließlich innerhalb der Arbeitszeit, zwischen neun Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags, begangen werden. Sonntags und feiertags ausgenommen.

11
    D velopoulos’ Büro wirkt wie eine siebzig Quadratmeter große Dreizimmerwohnung, deren Räume – wie Eß- und Wohnzimmer, Schlafzimmer und Flur – nahtlos ineinander übergehen. Nur Bad und WC haben einen getrennten Eingang. Er sitzt hinter einem Schreibtisch, groß wie ein Basketballfeld, neben dem sich. Gikas’ Schreibtisch wie eine Tischtennisplatte ausnimmt. An der Südseite des Apartments, wo normalerweise das Eß- und Wohnzimmer lägen, stehen ein rechteckiger Tisch von riesigen Ausmaßen und zehn Lehnstühle. Der am Kopfende befindliche Stuhl sticht durch eine überhöhte Lehne und Armstützen hervor, während die übrigen wie armlose Kriegsinvaliden wirken. Schräg gegenüber von Delopoulos’ Schreibtisch prunkt ein Fernsehbildschirm, fünfmal größer als das übliche Maß. Er ist jetzt dunkel, und auf dem Glas spiegeln sich unsere beiden Gesichter. Ich überlege mir, ob ich nicht den knurrenden Bullen zum besten geben sollte, da ich doch zum Fernsehen gekommen bin wie die Jungfrau zum Kinde. Doch der Hornochse schreit in seiner Rolle, in der ihm nichts passieren kann, mit Frauen und verschiedenen Kleinkrämern herum, während ich jetzt im wirklichen Leben vor dem einflußreichen Delopoulos stehe.
    Er ist großgewachsen, ausgemergelt, mit schütterem Haarwuchs und verkniffener Miene. Auf seinem Gesicht zeichnet sich Betrübnis ab, doch bei seinem Mienenspiel sieht selbst das verkniffen aus.
    »Ich bin erschüttert, Herr Charitos«, meint er und wiederholt es noch einmal, um mir ja keine Zweifel zu lassen. »Richtiggehend erschüttert. Janna Karajorgi war ein großartiger Mensch und eine bedeutende Journalistin. Die Kollegen haben sie ›Schnüfflerin‹ genannt. Ich sah das immer als Ehrentitel, den sie sich zu Recht erworben hatte.« Er pausiert, sieht mich an und fügt mit besonderem Nachdruck hinzu: »Sie war mehr als eine Arbeitskollegin, sie war auch eine persönliche Freundin.«
    Ich muß mit fast übermenschlicher Kraft den Impuls unterdrücken, ihn danach zu

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