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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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stecken, weshalb sie beim harmloseren ›gestorben‹ strandet.
    »– da wußte ich nicht, was ich tun sollte. Ich hatte Angst, mit meiner Mutter darüber zu sprechen, weil sie bei jeder Kleinigkeit zu Tode erschrickt. Deswegen konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Schließlich habe ich mich dazu durchgerungen, Ihnen den Ordner zu übergeben.«
    Diesmal streckt sie mir entschlossen den Ordner entgegen und drückt ihn mir in die Hand. Ich beeile mich nicht sonderlich, ihn zu öffnen. Ich möchte ihn in aller Ruhe durchblättern. Die junge Frau ist der Ansicht, daß ihr Auftrag erfüllt ist, und erhebt sich, um zu gehen.
    »Wieso haben Sie den Ordner denn nicht der Kostarakou überbracht?«
    Die Frage überrascht sie, und sie verliert die Fassung. Sie versucht sich zu rechtfertigen. »Ich wollte ihn hinbringen, doch ich hatte eine Menge Dinge zu erledigen, und ich mußte auch noch zur Uni. Außerdem, wie sollte ich mir denn ausmalen, daß auch sie umgebracht wird?«
    »Sie wollten ihn ihr gestern früh bringen, doch Sie haben sie tot aufgefunden und Reißaus genommen. Als Sie zu sich kamen, haben Sie aus einer Telefonzelle die Funkstreife angerufen und, ohne Ihren Namen zu nennen, Meldung erstattet.«
    Manche Einfälle schießen einem blitzartig durch den Kopf. Unvorbereitet und unerwartet, ohne vorangehende Assoziation. Und dennoch weiß man, daß sie ins Schwarze treffen. Ich begreife, daß meine Eingebung zutrifft, als ich Anna Antonakakis Gesichtsausdruck sehe. Sie wird ganz bleich, die kühle Miene verschwindet, und Angst macht sich in ihrem Blick breit. Sie beginnt Zeter und Mordio zu schreien, doch in ihrer Stimme liegt ein hysterischer Unterton. Wie bei allen Menschen, die schreien, um noch einmal Oberwasser zu bekommen.
    »Sind Sie denn verrückt geworden? Ich war gestern den ganzen Tag an der Uni. Von der Kostarakou habe ich erst am Abend in den Nachrichten erfahren.«
    »Hören Sie gut zu, Anna«, sage ich ganz sanft. »Es ist mir ein leichtes festzustellen, ob Sie in Kostarakous Wohnung waren. Ich brauche nur die Nachbarschaft mit einem Foto von Ihnen abzuklappern, bis ich auf jemanden treffe, der Sie wiedererkennt. Der Rest ist ein Kinderspiel.«
    »Tun Sie doch, was Sie wollen«, antwortet sie trotzig. »Ich habe mir das alles selbst eingebrockt, weil ich Ihnen den Ordner gebracht habe.«
    »Da haben Sie gut daran getan. Mir schwant, daß wegen dieses Ordners sowohl Ihre Tante als auch die Kostarakou dran glauben mußten. Sie hatten keinerlei Grund, sie zu töten, folglich hat niemand Sie im Verdacht. Ich will einzig und allein von Ihnen wissen, um welche Uhrzeit Sie die Kostarakou tot aufgefunden haben. Das ist für unsere Nachforschungen von ausschlaggebender Bedeutung.«
    Sie setzt sich wieder auf den Stuhl und verharrt regungslos. Ihre Augen sind auf mich gerichtet, doch ihre Gedanken weilen anderswo.
    »Ich möchte nicht in diese Sache hineingezogen werden. Wenn die Journalisten Lunte riechen, wird das meine Mutter unweigerlich sehr aufregen … Und mich werden sie … Wir werden keine ruhige Minute mehr haben.«
    »Niemand wird etwas davon erfahren. Ich werde vorläufig keine offizielle Zeugenaussage aufnehmen, und alles bleibt unter uns. Wenn Ihr Zeugnis später von Belang sein sollte, kommen Sie einfach vorbei und sagen aus.«
    Sie blickt mich weiterhin mißtrauisch an, doch der Gedanke, keine Zeugenaussage machen zu müssen, beruhigt sie einigermaßen. Als sie zu sprechen beginnt, ist ihre Stimme nur ein Flüstern. »Ich hatte sie einen Tag vor meinem Besuch angerufen.«
    »Wann genau haben Sie mit ihr telefoniert?«
    »Um halb zehn Uhr morgens, doch sie war in großer Eile. Auch für den weiteren Verlauf des Tages konnten wir uns auf keinen Termin einigen, und so vereinbarten wir, daß ich am nächsten Tag vorbeikommen würde, bevor ich zur Uni ging.«
    »Können Sie sich erinnern, wieviel Uhr es genau war?«
    »Es muß gegen halb elf gewesen sein, denn um elf hatte ich eine Vorlesung im Volkskrankenhaus in Goudi. Wenn ich an der Gegensprechanlage geläutet hätte, dann hätte sie mir nicht geöffnet, und ich wäre wieder gegangen. Doch ich fand die Eingangstür des Wohnhauses offen vor und trat ein. Ich ging in die dritte Etage hoch und läutete ein paar Mal. Niemand kam zur Tür. Ich wollte gerade gehen, als mir auffiel, daß die Tür nur angelehnt war. Ich stieß sie auf und ging hinein. Ich begann ihren Namen zu rufen, doch ich erhielt keine Antwort. Kurzfristig überlegte ich, den

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