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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Ordner einfach liegenzulassen und zu gehen, weil ich mich beeilen mußte, um nicht zu spät zur Vorlesung zu kommen. Dann besann ich mich, daß sie sich doch in der Nähe aufhalten mußte, wenn sie ihre Wohnungstür offenstehen ließ. Und ich ging ins Wohnzimmer, um auf sie zu warten.«
    Sie hält inne und beginnt zu zittern. Sie ist drauf und dran, in Tränen auszubrechen, doch mit letzter Kraft gelingt es ihr, sie zurückzuhalten. Die Stimme versagt ihr, sie stockt nach jedem Wort.
    »Plötzlich sah ich sie vor mir auf dem Boden liegen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten auf die Tür, genau auf die Stelle, wo ich stand. Es war, als sähe sie mich an–«
    Sie kann nicht mehr an sich halten. Sie bedeckt ihr Gesicht mit den Handflächen und beginnt heftig zu schluchzen. Ich lasse ihren Ausbruch zu, damit ihr leichter wird.
    »Wie sah denn das Zimmer aus?« frage ich nach einer Weile.
    »Vollkommen durcheinander, als wäre ein Wirbelsturm darüber hinweggefegt.«
    »Haben Sie irgend etwas angefaßt?«
    »Ich bin keine Minute länger dortgeblieben. Sobald ich mich etwas gefangen hatte, ergriff ich die Flucht. Als ich auf die Straße trat, fiel mir ein, daß ich die Wohnungstür offengelassen hatte. Aber ich traute mich nicht, nochmals zurückzugehen. Außerdem hatte ich sie ja auch offen vorgefunden.«
    »Von wo aus haben Sie uns verständigt?«
    »Aus dem Krankenhaus. Anfangs kam mir gar nicht der Gedanke, Meldung zu erstatten. Bevor die Vorlesung anfing, wurde mir mit einem Mal bewußt, daß ich etwas tun mußte, und ich rief die Funkstreife.«
    »In Ordnung, Anna. Wir sind soweit fertig. Und haben Sie keine Angst, niemand wird etwas erfahren. Sie haben mein Wort.«
    »Ich danke Ihnen.« Sie wischt sich die Tränen ab und erhebt sich. Sie hält die leere Plastiktüte in ihren Händen und weiß nicht, wohin damit.
    »Geben Sie sie mir ruhig.« Ich nehme sie entgegen und stecke den Aktenordner wieder hinein. Besser, niemand bekommt ihn zu Gesicht, bevor ich ihn nicht einer ausführlichen Prüfung unterzogen habe.
    Anna ist gerade bei der Tür angelangt, als sie abrupt aufgerissen wird und Thanassis hereintritt.
    »Ich bringe Ihnen den Bericht«, sagt er.
    Sein Blick fällt auf Anna, und er erstarrt zur Salzsäule. Er sieht sie an und kann seine Augen nicht von ihr lösen. Sie wirft ihm einen gleichgültigen Blick und mir ein ›Tschüs‹ zu und geht hinaus.
    »Karajorgis Nichte«, sage ich, als die Tür hinter ihr ins Schloß fällt, um ihn aus seiner Überraschungsstarre aufzurütteln.
    »Ihre Nichte?«
    »Ja. Sie heißt Anna Antonakaki und ist die Tochter ihrer Schwester. Verblüffende Ähnlichkeit, was?«
    Es ist, als hörte er mich gar nicht. Sein Blick ist immer noch an der Tür. Schließlich kommt er auf mich zu und übergibt mir seinen Bericht.
    »Nicht zu fassen«, lallt er.
    Er murmelt immer noch »nicht zu fassen« vor sich hin, während er mein Büro verläßt. Genauso verdattert war ich gewesen, als ich sie zum ersten Mal sah.

25
    D er Aktenordner liegt vor mir, an drei Seiten mit Doppelknoten verschnürt. Die Vernunft gebietet, ihn zur Seite zu legen und den Bericht zu beenden. Wenn ich ihn nämlich zusammen mit Thanassis’ Ausführungen über Kolakoglou und Karajorgis Ordner zu Gikas schicke, dann erbringe ich den Nachweis, daß ich nicht auf Petratos fixiert blieb, sondern die Nachforschungen an drei Fronten gleichzeitig vorantrieb. Der Minister und Gikas werden ihre Zungen daraufhin im Zaum halten. Das gebietet die Vernunft. Doch mein Instinkt rät mir, die Vernunft über Bord zu werfen und mir den Ordner anzusehen.
    Ich ziehe ihn zu mir herüber und beginne die Knoten zu lösen. Obenauf liegt eine Papiertüte von Kodak, die Negativstreifen enthält. Ich halte ihn ans Licht. Es handelt sich um Fotografien von Personen und verschiedenen Fahrzeugen – Reisebussen und Lastkraftwagen. Einzelheiten kann ich jedoch keine erkennen. Darunter stoße ich auf einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von Pylarinos. Und sofort beginne ich mir auf meinen Instinkt, der mir die richtige Richtung gewiesen hat, etwas einzubilden. Christos Pylarinos ist einer jener Unternehmer, die im letzten Jahrzehnt wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Bild des ›Aus-dem-Boden-Schießens‹ ist durchaus wörtlich zu verstehen. Als Altlinker war er während des griechischen Bürgerkriegs mit dem Partisanenführer Markos in die Berge gegangen. Und nach der Niederlage der Linken landete er in einem Ostblockland. ’76

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