Hell's Angels (German Edition)
aber vor allem geht es dabei darum, die Kutte des Neumitglieds zu besudeln. Im Laufe des Treffens sammelt man einen Eimer voll Kot und Urin, der dem Neuling dann als feierliche Taufe über dem Kopf ausgekippt wird. Oder er zieht sich aus und steht nackt dabei, während der Eimer mit den Exkrementen über seiner Kleidung ausgeleert wird und die anderen darauf herumtrampeln.
Das ist seine »Kutte«, und er muss sie jeden Tag tragen, bis sie verfault. Die Jeans wird in Öl getunkt und dann zum Trocknen in der Sonne aufgehängt – oder man lässt sie über Nacht unter dem Motorrad liegen, damit sie die Öltropfen aus dem Kurbelwellengehäuse auffängt. Wenn sie dann eines Tages zu zerlumpt ist, um noch ihren Zweck zu erfüllen, trägt man sie über einer anderen, neueren Levis. Viele Kutten sind so schmutzig, dass man das Colour kaum erkennt, aber sie werden erst abgelegt, wenn sie buchstäblich auseinander fallen. Der Zustand der Kutte ist ein Zeichen für den Status des Trägers. Es dauert ein, zwei Jahre, bis sie so weit ist, dass sie einem Mann das Gefühl vermittelt, es wirklich geschafft zu haben.
Frenchy und die anderen Angels im DePau wollten wissen, ob ich sie gefunden hatte, indem ich dem Geruch gefolgt war. Später an diesem Abend, beim Wochentreffen,
fiel mir auf, dass etliche von ihnen teure Wollhemden und Skijacken unter dem Colour trugen. Als die Kneipen um zwei Uhr dichtmachten, kamen fünf Outlaws mit in meine Wohnung, zu einem Trinkgelage bis in die frühen Morgenstunden. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass einer von ihnen ein berüchtigter Ungezieferüberträger war, eine wandelnde Filzlausfarm. Ich suchte mein Wohnzimmer gründlich nach Anzeichen von Läusen und anderen Insekten ab, fand aber nichts. Nervös wartete ich zehn Tage lang ab, in dem Glauben, sie hätten vielleicht Eier gelegt, aber es zeigte sich kein Ungeziefer. Wir spielten in dieser Nacht viele Songs von Bob Dylan, und noch lange später musste ich, wenn ich seine Stimme hörte, unwillkürlich an Filzläuse denken.
Das war Anfang Frühjahr 1965. Im Hochsommer dieses Jahres fühlt ich mich bereits so in der Outlaw-Szene zu Hause, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob ich über die Hell’s Angels recherchierte oder allmählich von ihnen absorbiert wurde. Ich ertappte mich dabei, dass ich zwei oder drei Tage pro Woche in Angel-Bars, bei ihnen zu Hause, auf ihren Runs oder Partys verbrachte. Anfangs hielt ich sie noch aus meiner eigenen Welt heraus, doch nach einigen Monaten gewöhnten sich meine Freunde daran, zu jeder Tages- und Nachtzeit Hell’s Angels in meiner Wohnung vorzufinden. Ihre Ankunft und ihr Aufbruch alarmierten regelmäßig die ganze Nachbarschaft und ließen manchmal Menschenmengen auf dem Gehsteig zusammenströmen. Als sich das bis zu meinem Vermieter, einem Chinesen, herumsprach, schickte er Emissäre, die herausfinden sollten, was ich beruflich tat. Eines Morgens ließ ich, als es klingelte, Terry the Tramp an die Tür gehen, um mir den Mieteintreiber vom Leib zu halten, aber das wurde vom Eintreffen eines Streifenwagens
unterbunden, den die Dame von nebenan gerufen hatte. Sie war sehr höflich, während die Angels ihre Motorräder aus ihrer Auffahrt entfernten, aber am nächsten Tag fragte sie mich, ob »diese Jungs« meine Freunde seien. Ich bejahte, und vier Tage später bekam ich einen Räumungsbefehl zugestellt. Das Auftauchen der personifizierten Vergewaltigungs-Bedrohung stellte eindeutig eine Wertminderung für die Immobilien dar; der Block musste gereinigt werden. Erst lange nach meinem Auszug wurde mir klar, dass die Frau völlig verängstigt gewesen sein musste. Sie hatte hin und wieder Gruppen von Angels bei mir ein und aus gehen sehen, und nachdem sie sie einmal erblickt und den schrecklichen Lärm ihrer Maschinen gehört hatte, verspürte sie jedes Mal, wenn sie ein Motorrad hörte, ein Brennen in den Nerven. Sie bedrohten sie Tag und Nacht – donnerten und dröhnten unter ihrem Fenster vorbei –, und es kam ihr nie in den Sinn, dass das gelegentliche Donnern der Outlaw-Chopper auch nichts groß anderes war als das Geheul der kleineren Motorräder vor der zahnmedizinischen Studentenverbindung einen halben Block weiter. Nachmittags stand sie auf ihrer Eingangstreppe, sprengte mit einem Gartenschlauch den Gehsteig und starrte jeden Hondafahrer, der von der nahe gelegenen Medizinischen Hochschule her über den Hügel gefahren kam, feindselig an. Gelegentlich schien es in der ganzen Straße von
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