Hell's Angels (German Edition)
Hell’s Angels nur so zu wimmeln. Das war mehr, als jeder Steuern zahlende Immobilienbesitzer zu erdulden bereit war. Eigentlich geschah bei ihren Besuchen nichts Schlimmeres, als dass laute Musik gespielt wurde, ein paar Motorräder auf dem Gehsteig standen und ab und an jemand einen Schuss aus dem Fenster nach hinten hinaus abfeuerte. Zu den meisten Missetaten kam es in Nächten, in denen gar keine
Angels in der Gegend waren: Einer meiner ehrbarsten Besucher, ein Werbefachmann aus New York, bekam nach einer durchzechten Nacht Hunger und stahl aus dem Kühlschrank einer Nachbarwohnung einen Schinken; ein anderer Gast steckte mit einer Leuchtpistole meine Matratze in Brand, und wir mussten sie aus dem rückwärtigen Fenster werfen; ein anderer lief mit einem Hochleistungs-Drucklufthorn von Falcon, wie es normalerweise auf Schiffen als Notsignal verwendet wird, wild auf der Straße herum; Leute beschimpften ihn von mindestens zwanzig Fenstern aus, und er entging nur knapp einer üblen Verletzung, als ein Mann im Pyjama aus einem Hauseingang gelaufen kam und mit einem langen weißen Knüppel nach ihm schlug.
In einer anderen Nacht fuhr ein ortsansässiger Anwalt mit seinem Auto über den Gehsteig bis auf die Stufen vor meiner Wohnung, hupte dann wie wild und versuchte mit seiner Stoßstange meine Wohnungstür einzudrücken. Ein mich besuchender Dichter warf eine Mülltonne vor die Räder eines vorbeifahrenden Busses, was sich wie ein schlimmer Unfall anhörte. Mein Nachbar von oben meinte, es habe sich angehört, als wäre ein VW Käfer zerquetscht worden. »Bei dem Knall wäre ich fast aus dem Bett gefallen«, sagte er. »Aber als ich dann aus dem Fenster sah, war da weiter nichts zu sehen als der Bus. Ich dachte, ein Auto wäre frontal damit zusammengestoßen und wäre jetzt unter dem Bus. Man hörte ein schreckliches Schleifgeräusch. Ich dachte, da unten in dem Autowrack wären die Leute zerquetscht.«
Einer der schlimmsten Vorfälle dieser Zeit zog keinerlei Beschwerden nach sich: Es war eine harmlose Demonstration von Feuerkraft, die eines Sonntagmorgens gegen halb vier stattfand. Aus Gründen, die immer
im Unklaren blieben, zerballerte ich mit fünf Schuss aus einer Flinte Kaliber 12, kurz darauf gefolgt von sechs Schuss aus einem Magnum-Revolver Kaliber .44, meine Fenster nach hinten hinaus. Es war ein längerer Ausbruch, geprägt von Geballer, trunkenem Gelächter und zersplitterndem Glas. Die Nachbarn aber reagierten mit Schweigen. Eine Zeit lang nahm ich an, irgendein abnormes Luftloch habe alle diese Geräusche aufgesogen und aufs Meer hinausgetragen, aber nach dem Räumungsbefehl wurde ich eines Besseren belehrt. Jeder einzelne Schuss war ordnungsgemäß im Klatsch- und Tratschlogbuch verzeichnet. Ein anderer Mieter in dem Gebäude erzählte mir, der Vermieter sei nach den ganzen Geschichten, die ihm zu Ohren gekommen waren, überzeugt, dass vom Inneren meiner Wohnung nach Orgien, Schlägereien, Bränden und mutwilligem Herumgeballere nur noch Trümmer übrig seien. Er hatte sogar gehört, bei mir würden Motorräder ein und aus fahren.
Diese Vorfälle zogen keine Festnahmen nach sich, aber das hing wohl mit dem in der Nachbarschaft kursierenden Gerücht zusammen, die Hell’s Angels würden von meiner Wohnung aus operieren. Wahrscheinlich rief man deshalb nur so selten die Polizei: Niemand wollte von einem Vergeltungskommando der Angels abgemurkst werden.
Kurz bevor ich auszog, kam ein Grüppchen Mandarin sprechender Verwandter des Vermieters die Wohnung inspizieren, anscheinend mit der Absicht, eine Schadensberechnung anzustellen. Sie wirkten verblüfft, aber auch sehr erleichtert, als sie keine großen Zerstörungen vorfanden. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Hell’s Angels hin, und das einzige Motorrad weit und breit stand auf dem Gehsteig. Als sie gingen, blieben sie dort stehen, um es sich anzusehen, und schnatterten dabei hektisch in
ihrer Muttersprache. Ich machte mir ein wenig Sorgen, dass sie womöglich darüber sprachen, statt der noch ausstehenden Miete mein Motorrad mitzunehmen, aber dann versicherte mir der Einzige aus der Gruppe, der Englisch sprach, sie bewunderten nur seine »Eleganz«.
Der Vermieter selbst hatte nur eine vage Vorstellung davon, welche Bedrohung die Hell’s Angels für sein Eigentum darstellten. Alle Beschwerden mussten ins Chinesische übersetzt werden, und ich nehme an, er konnte nicht allzu viel damit anfangen. Da sein persönliches Bezugssystem nicht
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