Hell's Angels (German Edition)
Jahrhunderts, der Motorräder, Hakenkreuze und aggressive Homosexualität als neues kulturelles Dreieck darstellte. Als die Hell’s Angels dann in den kulturellen Mainstream vordrangen, hatte Anger bereits mehrere weitere Filme mit stark homosexuellem Grundton gemacht und schien nun gekränkt angesichts des Verdachts, dass er so etwas Banales wie einen Dokumentarfilm über ein aktuelles Thema habe drehen wollen.
Dessen ungeachtet lief Scorpio Rising 1964 im Movie -Kino in North Beach, San Francisco, über dem Anger damals wohnte und das in einem Schaukasten mit Zeitungsausschnitten über die Hell’s Angels für den Film warb. Die Absicht dahinter war so offensichtlich, dass sogar die San Franciscoer Angels dorthin pilgerten, um sich den Film anzusehen. Sie hatten keinen Spaß daran. Sie waren nicht wütend, aber doch schwer gekränkt. Ihr Name, fanden sie, war auf betrügerische Weise kommerziell genutzt worden. »Mir hat der Film gefallen«, sagte Frenchy. »Aber der hatte nichts mit uns zu tun. Wir fanden den Film alle gut, aber als wir dann rauskamen, haben wir die ganzen Zeitungsausschnitte über uns gesehen, die da wie Reklameplakate angeklebt waren. Mann, das war echt
scheiße, das war nicht in Ordnung. Eine Menge Leute haben sich davon täuschen lassen, und jetzt müssen wir uns ständig diesen Schwachsinn anhören, wir wären schwul. Scheiße, hast du gesehen, wie diese Penner angezogen waren? Und dann diese völlig bescheuerten, gottverdammten Schrott-Bikes? Mann, erzähl mir doch nicht, dass das irgendwas mit uns zu tun hätte. Du weißt doch, dass das nicht stimmt.«
Anger schien das auch so zu sehen, äußerte sich aber nicht dazu. Warum diese tolle Werbung für den Film verderben? Und außerdem haben Homosexuelle ja meist ein feines Gespür, mit dem sie Homosexualität anderer wittern. So kam es zu diesem Phänomen: Die Angels sorgten für den nötigen flankierenden Realismus, der Scorpio Rising abging. Der Insgeheim-schwul-Faktor bot der Presse ein Element von Verruchtheit, das sie unter die Berichte über Vergewaltigungen mengen konnte, und das Bild der Outlaws erreichte einen neuen Tiefpunkt schmutzigschäbiger Faszination. Mehr denn je umgab sie die Aura eines Mysteriums aus Brutalität und Erotik – aufeinander eindreschende Satyre, bereit zur Begattung jedweden Lebewesens und jeglicher Körperöffnung.
8
Diese Gangster mit ihren Motorrädern und Nazisymbolen haben es auf die ganze Welt abgesehen – und auf sämtliche Bewohner dieser Welt. Sie sind eine Bedrohung, eine verdammt ernste Bedrohung, die jedes Jahr größer wird. – Polizeibeamter aus Florida, zitiert in Man’s Peril (Februar 1966)
Ihre Motorräder verehren sie abgöttisch. Die nehmen sie über Nacht mit ins Haus. Sie selber schlafen in versifften Betten, aber ihre Maschinen sind immer picobello. – Polizist, Los Angeles, 1965
Je weiter sich die Angels von ihrem Heimatrevier entfernen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie Panik auslösen. Wenn man zum ersten Mal eine Gruppe von ihnen auf einem Highway sieht, schlägt das jeder normalen Vorstellung davon, wie es in Amerika zugeht, ins Gesicht; es ist derart bizarr, dass es einem wie eine schlimme Halluzination vorkommt. Und in diesem Kontext ist der Begriff »Outlaw« auch tatsächlich angemessen. Einen einzelnen Angel durch den Verkehr brausen zu sehen – allen Regeln, Beschränkungen und Mustern trotzend – bedeutet, das Motorrad als Instrument der Anarchie zu begreifen, als Werkzeug des Widerstands und sogar als Waffe.
Zu Fuß kann ein Hell’s Angel ganz schön lächerlich aussehen. Ihr billiges theatralisches Gehabe und ihre dümmlichen Gespräche sind vielleicht für ein paar Stunden mal ganz interessant, aber jenseits der anfänglichen Fremdartigkeit ist ihr Alltag so öde und deprimierend wie ein Kostümfest für geisteskranke Kinder. Es hat etwas Lächerliches, wenn sich eine Gruppe von Männern allabendlich in derselben Kneipe versammelt, sich in ihren speckigen Kutten überaus ernst nimmt und weiter nichts hat, worauf sie sich freuen kann, als die nächste Gelegenheit, sich zu prügeln oder sich von irgendeiner betrunkenen Putzfrau reihum einen blasen zu lassen.
Gar nicht lächerlich hingegen ist der Anblick eines Angels auf seinem Motorrad. Das Ganze – Mensch und Maschine zusammengenommen – ist hier weit mehr als die Summe der Teile. Sein Motorrad ist das Einzige im Leben, was er wirklich beherrscht. Es ist sein einziges Statussymbol,
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