Hell's Angels (German Edition)
persönliche Papiere aus einer Brieftasche und wirft sie in den Müll.
Wegen ihrer vagabundierenden Lebensweise muss ihr Netz unbedingt funktionieren. Wird eine Nachricht nicht weitergeleitet, kann das zu schweren Problemen führen: Ein Angel, der noch rechtzeitig hätte fliehen können, wird verhaftet; ein geklautes Motorrad kommt nie bei seinem Käufer an; die Übergabe eines Pfunds Marihuana platzt; oder ein ganzes Chapter erfährt nichts von einem Run oder einer großen Party.
Das Ziel eines Runs wird so lange wie möglich geheim gehalten – in der Hoffnung, dass die Polizei es nicht mitkriegt. Die Chapter-Präsidenten einigen sich telefonisch, und dann verraten sie es ihren Leuten am Vorabend der Fahrt, entweder bei einem Treffen oder indem sie einer Hand voll Barkeepern, Kellnerinnen und Insider-Mädels, die als Kontaktpersonen fungieren, Bescheid sagen. Dieses System ist zwar hocheffizient, hatte aber immer die eine oder andere undichte Stelle, und 1966 beschlossen die Angels, dass man das Ziel wohl nur geheim halten
könne, indem man es erst verriet, wenn der Run bereits begonnen hatte. Barger versuchte das einmal, aber der Polizei gelang es, den Angels auf der Spur zu bleiben, indem sie per Funk ihre jeweilige Position weitergab. Die Verfolgung per Funk ist ein Mittel, mit dem sich die Polizei einen kleinen Vorteil verschafft und sich selbst das Gefühl vermittelt, alles im Griff zu haben. Das funktioniert auch, solange keine Fehler unterlaufen. Aber man kann wohl mit Sicherheit davon ausgehen, dass eines Tages einmal ein Hell’s-Angels-Konvoi aus dem chaotischen Feiertagsverkehr verschwinden wird wie ein Leuchtpunkt, der über den Rand eines Radarschirms hinausschießt. Dazu bedarf es nur einer jener raren Örtlichkeiten, nach denen die Outlaws unablässig suchen: eine große Farm oder Ranch mit einem ihnen wohlgesonnenen Besitzer, ein Grundstück auf dem Lande außerhalb der Reichweite der Polizei, wo sie sich dann alle besaufen und ausziehen und übereinander herfallen können wie brunftige Böcke, bis sie vor Erschöpfung ohnmächtig niedersinken.
Es würde sich lohnen, ein Polizeifunkgerät zu kaufen, nur um die panischen Durchsagen zu hören:
»Eine achtzig Mann starke Gruppe ist gerade durch Sacramento gekommen, fahren auf dem Highway 50 weiter nach Norden, keine Gewalttaten, vermutlich unterwegs in Richtung Lake Tahoe. ...« Fünfzig Meilen weiter nördlich, in Placerville, sagt der Polizeichef seinen Männern ein paar aufmunternde Worte und stationiert sie dann, mit Gewehren bewaffnet, beiderseits des Highways, südlich der Stadtgrenze. Zwei Stunden später liegen sie immer noch auf der Lauer, und die Leitstelle
in Sacramento funkt, dass man dringend einen Bericht darüber erwarte, wie Placerville mit der Krise fertig werde. Der Polizeichef berichtet nervös, es habe keinen Kontakt gegeben, und fragt, ob seine unermüdlichen Truppen jetzt heimgehen und den Feiertag genießen dürfen.
Der Funker, der in der Leitstelle des Highway-Patrol-Präsidiums in Sacramento sitzt, sagt, bitte dranbleiben, er höre sich mal um, und wenig später kreischt seine Stimme aus dem Lautsprecher:
»Verdammt! Sie lügen! Wo sind sie?«
»Brüllen Sie mich nicht so an«, sagt der Polizeichef von Placerville. »Die sind hier nie angekommen.«
Der Funker hört sich in ganz Nordkalifornien um, aber ohne Ergebnis. Streifenwagen rasen auf den Highways hin und her, Polizisten überprüfen jede einzelne Kneipe. Nichts. Achtzig der brutalsten Biker des ganzen Bundesstaates fahren betrunken irgendwo zwischen Sacramento und Reno in der Gegend herum, auf Vergewaltigungen und Plünderungen aus. Das wird eine weitere Blamage für die kalifornische Polizei – einen kompletten Konvoi dieser Scheißkerle einfach aus den Augen zu verlieren, und das mitten auf einem großen Highway – da werden sicherlich Köpfe rollen.
Mittlerweile sind die Outlaws längst auf einer Privatstraße, sind an einem Schild vom Highway abgefahren, auf dem stand: OWL FARM, BESUCH UNERWÜNSCHT. Sie sind außerhalb der Reichweite der Polizei, es sei denn, der Besitzer beschwert sich. Währenddessen verschwindet in der Nähe eine weitere Gruppe von fünfzig Mann. Suchtrupps der Polizei fahren auf den Highways auf und ab, auf der Suche nach Speichel-, Schmutz-und Blutspuren. Der Funker tobt immer noch an seinem Mikrofon; dem diensthabenden Offizier versagt die Stimme, als er dringende Anfragen von Radioreportern aus San Francisco und Los Angeles
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