Hell's Angels (German Edition)
wurde in der Mitte des Lagers ein Berg aus Sixpacks aufgestapelt. Das kam noch zu den 22 Kisten in meinem Wagen hinzu. Als es dunkel wurde, war der Wagen schon halb leer, also stapelte ich das restliche
Bier auf der Rückbank und schloss meine Privatsachen im Kofferraum ein. Natürlich ging ich das Risiko ein, dass die Outlaws an dieser Geste Anstoß nehmen würden, aber ich hatte keine Lust, alles zu verlieren – was sehr wahrscheinlich passiert wäre, denn es dauerte nicht mehr lange, und das Camp verwandelte sich in ein Tiergehege. Ein Reporter der Los Angeles Times , der am nächsten Tag vorbeikam, sagte: »Hier sieht es ja aus wie in Dantes Inferno.« Aber er kam um die Mittagszeit, als die meisten Outlaws noch von den Verheerungen der Nacht benommen waren. Wenn ihm ihr Mittagsschläfchen schon so scheußlich erschien, hätten die nächtlichen Szenen am Feuer seiner geistigen Gesundheit womöglich dauerhaften Schaden zugefügt.
Aber vielleicht auch nicht, denn die Zehn-Uhr-Ausgangssperre hatte eine drastische Wirkung auf die Ereignisse. Sie sorgte dafür, dass alle, die nicht zum harten Kern gehörten, aus dem Lager verschwanden, und dadurch waren die Angels, was die Unterhaltung anging, nun auf sich selbst angewiesen. Es gingen vor allem Mädels: Es hatte ihnen anscheinend im Camp gefallen, bis die Hilfssheriffs dann verkündeten, dass sie entweder bis zum Beginn der Ausgangssperre das Lager verlassen oder die ganze Nacht dort bleiben mussten. Die Folgen wären unerquicklich: Um zehn würde sich die Polizei zurückziehen, das Gebiet abriegeln und der Orgie freien Lauf lassen.
Den ganzen Nachmittag lang hatten sechs bis zehn Wagenladungen junger Frauen aus Fresno, Modesto oder Merced, die irgendwie Wind von dem Treffen bekommen hatten und anscheinend scharf auf eine richtige Party waren, die Szene belebt. Den Angels kam nie in den Sinn, dass sie womöglich nicht über Nacht – oder das ganze
Wochenende – bleiben würden, und deshalb war es für sie ein schwerer Schock, als sie wegfuhren. Die drei Krankenschwestern, die Larry, Pete und Puff mitgenommen hatten, trafen den tapferen Entschluss zu bleiben – um dann doch in letzter Minute Reißaus zu nehmen. »Mann, ich halt’s nicht aus«, sagte ein Angel, als er zusah, wie der letzte Wagen schlingernd auf dem Feldweg verschwand. »Die ganzen hübschen Muschis – einfach futsch. Das kleine Ding mit der Perücke und den roten Schuhen, die hatte ich schon rum! Wir hatten Spaß miteinander! Wie kann die denn einfach so abhauen?«
Es war eine erbärmliche Show, welche Maßstäbe man auch immer anlegte. Da waren diese ganzen hochärschigen, drallen Mädels in Stretchhosen und halb aufgeknöpften, ärmellosen Blusen, mit toupierten Hochfrisuren und blauem Lidschatten. Voll entwickelte, unwissende kleine Dinger, die den ganzen Nachmittag lang geil dahergeredet hatten (»Oh, Beth, machen dich diese Motorräder nicht ganz wild?«). Yeah, Baby, wild auf die weit offene Straße – und weg waren sie, wie Nonnen nach dem Glockenläuten, während die tief betrübten Angels nur dastanden und ihnen nachstarrten. Viele von ihnen hatten ihre Frau daheim gelassen, weil sie Ärger befürchteten. Jetzt hatte sich der Ärger in Luft aufgelöst, aber frische Weiber gab es keine.
Fast am härtesten traf es Terry the Tramp, der sich sofort mit LSD zudröhnte und sich für die nächsten zwölf Stunden hinten in einen Lieferwagen sperren ließ, wo er dann schrie und weinte unter dem Blick eines Gottes, den er fast vergessen hatte, der aber in dieser Nacht bis auf Baumwipfelhöhe herabkam, »und dann hat er mich nur angesehen – Mann, er hat mich nur angesehen, und ich sage dir, ich habe mich gefürchtet wie ein kleines Kind«.
Andere Angels brausten in Richtung Bierladen los, als die Ausgangssperre bekannt gegeben wurde, aber ihre Hoffnungen auf eine Party mit den Touristen wurden zunichte gemacht, als der Laden um Punkt zehn schloss. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zum Camp zurückzufahren und sich voll laufen zu lassen. Die Polizei verhielt sich nachsichtig Spätankömmlingen gegenüber, aber wer einmal drin war, kam nicht wieder raus.
Von zehn bis zwölf wurde geschluckt, was nur hineinging. Gegen elf Uhr verdrückte ich mich in meinen Wagen und arbeitete eine Zeit lang an meinen Tonbandaufzeichnungen, aber bei meinem Monolog wurde ich ständig von Leuten unterbrochen, die durch die offenen hinteren Seitenfenster in den Wagen langten oder versuchten, den
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