Hell's Kitchen
aber richtig schlimm sieht’s auch wieder nicht aus. Sie haben ihm eine Bluttransfusion gegeben und hoffen jetzt, daß ihn das wieder ein bißchen aufmöbelt.«
»Was wissen Sie über seinen Laden hier? Ich meine, er kann doch nicht allein von den Einnahmen der Gottesdienste leben.«
Keene zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht viel, und, ehrlich gesagt, es interessiert mich auch nicht besonders, wissen Sie. Father Love ist wie der ganze Rest dieser fröhlich lächelnden Nigger hier oben, die ihre eigenen Leute aufs übelste ausnehmen - die ziehen die Haste-mal-n-Dollar-Nummer ab, Sie verstehen? Die halten ihre Pfoten auf und strecken sie aus, damit die kleinen Trottel Cash reinlegen.
Ich sag Ihnen, Hock, die Leute hier oben - die lieben es fast genauso, um ihr Geld beschissen zu werden, wie sie es lieben, um ihren Schlaf gebracht zu werden, wenn irgendwer behauptet, sie wären verhext. Harlem ist ein anderer Planet, ich sag’s Ihnen.«
Die Cops von der Spurensicherung waren mit ihrem Job fertig und kamen an uns vorbei. Keene erwiderte ihren Gruß.
»Sonst können Sie mir nichts über einen Burschen sagen, der in Ihrem Bezirk eine Kirche leitet, die so groß ist wie diese hier?«
»Tjaaa...« Keene versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, das mir weiterhalf. »Tja, ich habe mich schon immer eins gefragt, und das ist, wieso er sein Ding in der heutigen Zeit nicht im Fernsehen abzieht? Ich meine, wieso all die Jahre nur das Radio?«
»Interessant«, sagte ich, was ich auch wirklich so meinte. Diese Frage würde ich Waterman selbst stellen müssen.
»Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie hier oben einen heiklen Auftrag haben, Hock?«
»Richtig.«
»Dann sehen wir uns also demnächst öfter?«
»Vermutlich.«
Keene kurbelte seine Scheibe hoch, legte einen Gang ein und fuhr fort, ließ mich dort auf der Lenox Avenue auf der Suche nach einer Telefonzelle stehen, die funktionierte. Ich ging ein paar Blocks Downtown Richtung 125th Street, wo ich eine Bahn der Linie A zurück zum Times Square kriegen konnte.
Vor dem Baby Grand Club, ein paar Türen weiter als das Apollo Theatre , blieb ich stehen. Irgendwo im hinteren Teil des Schuppens hörte ich eine Sängerin einen alten Song ein-üben. »You’re fat and forty and over the hill / But baby, you’re my meat and I love you still...« Und mir war plötzlich nach ein paar Gläschen, und ich hatte Lust, den Rest meines Lebens dort zu bleiben, doch statt dessen erledigte ich meine Anrufe aus der Telefonzelle am oberen Ende der Theke.
Zuerst rief ich Neglios Büro an und sprach mit einem der Bürohengste des Inspectors, der mich davon in Kenntnis setzte, daß der Boss gerade Urlaub auf Bimini macht, was ich bereits wußte, und daß er es sehr bedaure, aber es gebe leider keine Telefonverbindung zwischen New York und der Grashütte, die Neglio dort für die Dauer seines Aufenthaltes gemietet hatte. Was ich mir vielleicht hätte denken können.
Dann rief ich Sam Waterman jun. an. Ich war nicht weiter überrascht, wieder nur seinen Anrufbeantworter zu erwischen, daher hinterließ ich ihm eine Nachricht, daß er mich im Ebb Tide erreichen könne. Ich sagte, es sei dringend.
Dann verließ ich das Baby Grand und marschierte zur U-Bahn.
Und ich fühlte mich, wie Cops sich so oft fühlen: so effektiv wie ein Mann, der mit einer Bowlingkugel hinter einer Spinne her ist.
Als ich nach Hause kam, kontrollierte ich zuerst mal meine Wohnung daraufhin, ob dort womöglich in letzter Zeit jemand verstorben sein könnte. Aber ich war allein, und das war gut so, denn ich weiß nicht, ob ich mit einer weiteren Leiche fertig geworden wäre.
Ich rief das Harlem Hospital an. Father Love schwebte immer noch in Lebensgefahr. Ich rief das Twenty-eighth Precinct an, und man versicherte mir, daß zwei Uniformierte über Nacht vor und in Watermans Zimmer postiert würden. Und dann rief ich wieder Watermans Sohn an.
Und wieder bekam ich nur seinen Anrufbeantworter an die Strippe. Und wieder hinterließ ich ihm die Nachricht, daß er mich dringend zu Hause anrufen solle.
Dann warf ich mich auf die Couch unter den Fenstern und sank in einen tiefen, melancholischen Schlaf. Ich träumte von dem bevorstehenden Weihnachtsfest, und daß ich es dieses Jahr nicht zusammen mit Judy verbrachte. Und ich träumte von meinem Vater, den ich nie kennengelernt hatte, der für mich tot war; ich träumte von ihm, wie ich immer von ihm träumte, als dem Mann in dem Bilderrahmen.
Und in meinem
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