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Hell's Kitchen

Hell's Kitchen

Titel: Hell's Kitchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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Traum hatte der Rahmen zwei Beine und trug Soldatenstiefel, und das Bild meines Vaters marschierte über ein Schlachtfeld.

13

    Ich stand in der Tür unten hinter der zerbröckelnden Kalksteintreppe des Paris Nights Transient Hotel, eine halbe Stufe unterhalb der Dunkelheit und des Schmutzes der Fifty-fifth Street an der Nordwestecke der Eighth Avenue, wo die
    Porno- und Andenkenläden des Times Square und die Theater und Kinos des Broadway allmählich den Mietskasernen und irischen Kneipen und Wettbüros von Hell’s Kitchen weichen. Ich wartete darauf, daß sich meine Augen auf das schummrige Licht des Schuppens einstellten, als sich ein Mädchen von der Theke zu mir heranschlich. Das Mädchen hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht, was genaugenommen nicht direkt das erste war, was mir ins Auge fiel.
    »Mädchen« möchten sie im La Club Pigalle genannt werden, dem letzten Mastodon einer gewissen alten Rasse von New Yorker Varietés, das glücklicherweise alle Schwankungen des Zeitgeistes überlebt hat. Es hat all die üblichen niedrigen und erbärmlichen Formen der Rechtschaffenheit überlebt; es hat den heiligen Zorn von Fiorello La Guardia überlebt, eines ansonsten mutigen und vernünftigen Bürgermeisters mit der bedauerlichen Neigung zum Rotsehen, wann immer er an Strumpfhalter und Minislips und Troddeln dachte, die zum harten Beat einer blechernen Melodie an Brustwarzenkappen herumwirbelten; es hat die endlosen Erpressungsversuche von Cops, Ganoven und Kapitalisten überlebt - dieser bürgerlichen Dreifaltigkeit, die das urbane Amerika zu dem gemacht hat, was es heute ist; es hat die Jahrzehnte der Eifersüchteleien, Verrätereien, Zänkereien und Phobien hinter den Kulissen überlebt und was es sonst noch auf der ungeheuren Bandbreite gefühlsgetränkter weiblicher Launenhaftigkeiten gibt. Das Pigalle hat sogar die jüngste Seuche hirnloser Geilheit überlebt, die so viel von der guten, anständigen Lasterhaftigkeit des Times Square niedergetrampelt hat, die Seuche, die wahrscheinlich die Phantasien einer ganzen Generation von Seeleuten getötet hat.
    Als ich noch ein kleiner Junge war, wetterten die Priester der Holy Cross Church von der Kanzel gegen den La Club Pigalle direkt in der Nachbarschaft, als wäre es ein noch größeres Übel als die Armut selbst. Dann, mit erheblich süßeren Zungen, ließen die Priester ihre Moralpredigten über die demütigeren Herrlichkeiten des regelmäßigen Bibelstudiums als Gegenmittel gegen erotische Versuchungen folgen, die so wild wuchernd unter den Männern unserer Gemeinde grassierten. Und als ich dann schließlich groß genug war, um an dem nachsichtigen und stets betrunkenen Türsteher des Pigalle vorbeizukommen, hatte ich das große Glück, diese gegensätzlichen Glaubensrichtungen gleichzeitig an genau diesem Ort zu erleben - in der großartigen Person eines Komikers mit ausgebeulten Hosen namens Scurvy. In seiner Nummer, die die Zuschauer begeisterte, persiflierten er und seine dralle, die zweite Geige spielende Frau eine schlüpfrige Auswahl von Bibelzitaten, die er zuerst laut und ernst dem Publikum vorlas, aus einer normalen, ledergebundenen King-James-Ausgabe, während seine Frau direkt neben ihm stand und jede Einleitung mit einem anzüglichen Wackeln ihrer Hüften und einer zweideutigen hohen Note, geblasen auf einer Flöte, unterstrich.
    An diesem ersten wunderbaren Abend im Pigalle bemerkte ich die Anwesenheit einer größeren Anzahl Gemeindemitglieder. Sie waren praktisch so was wie eine Delegation, stampften mit ihren großen Füßen auf den Boden und johlten vergnügt bei den Szenen, die von Mr. und Mrs. Scurvy aus dem Buch der Richter und dem Deuteronomium und dem Buch Ruth gespielt wurden. Und für mich schien es auf der Hand zu liegen, daß dies tapferere Männer waren, die dem Einschlagen des Blitzes trotzten, als jene, die Gott für unfähig hielten, mit derber Satire umzugehen. Genau in diesem Augenblick wünschte ich mir, selbst Priester zu werden und ihnen allen sofort die Absolution erteilen zu können, diesen armen Schluckern aus ihren stur irischen New Yorker Heimen, wo die Abendessen pünktlich um sechs Uhr in der Küche eingenommen wurden und geräuschloser Sex in einem Zimmer ohne Licht stattfand, wobei vorher sichergestellt sein mußte, daß all die Jungen und Unschuldigen fest schliefen.
    Vor vielen Jahren waren das Pigalle und das Paris Nights so elegant, als wären es verbotene Orte, so kam es uns wenigstens vor. Sportfans von

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