Hell's Kitchen
Verfolgungsjagd hinunter in die Schlucht der alten Eisenbahntrasse, dort, wo vor vielen Jahren, als ich noch ein Kind war, Hobos ihr Lager aufgeschlagen hatten; davon, wie ich hinter dem Mann hergewesen war, der Father Love niedergeschossen hatte - wovon Lionel, wie er sagte, aus der >Post< wußte. Und ich erzählte ihm, daß ich vielleicht nur ein paar Minuten da unten gewesen war, da ich für eine ausgedehnte Sightseeing-Tour nicht passend angezogen gewesen war; und daß ich seit diesen allabendlichen Fernsehbildern aus Vietnam in den sechziger und frühen siebziger Jahren mit all den entlaubten Dörfern, die ein unheiliges Zeugnis ablegten vom großen amerikanischen Kreuzzug gegen den gottlosen Kommunismus, keine so entsetzliche Hoffnungslosigkeit mehr gesehen hatte.
»Hah!« sagte Lionel, brüllte dieses eine Wort beinahe heraus. »Ich glaube fast, das meinst du sogar wirklich.«
Ich sagte: »Was meine ich wirklich?«
»Gott im Himmel, Hock, ich glaube, du bist vielleicht wirklich und wahrhaftig der eine normale Spießer von einer Million, der tatsächlich sehen will, wie die Dinge wirklich sind.«
»Ist es nicht genau das, was ich gesagt habe?«
»Also schön, Chorknabe, okay... willst du mitkommen und sehen, wo der König des Dschungels lebt?«
20
Um Viertel nach zwei an einem Dienstagnachmittag im November, der sich als überraschend sonnig und klar entpuppte, ging ich mit dem Holy Redeemer die Tenth Avenue hinauf - vorbei an meiner Wohnung, in der Howie Griffiths ermordet worden war, vorbei an Runyon’s Pinball Shop schräg gegenüber, wo Buddy-O oben in seinen eigenen vier Wänden ermordet worden war; weiter zum »Dschungel«, der, wie Lionel mich informierte, das »am schnellsten wachsende Viertel ganz Manhattans ist, nur daß man wahrscheinlich nicht erleben wird, daß das >New York Magazine< einen Fotobericht über die Gegend bringt, mit kleinen Tips, wo man das beste schicke Sonntagsbrunch kriegt«.
Und dann bogen wir an der West Forty-sixth Street nach Westen in einen zum größten Teil leerstehenden Block, der nichtsdestoweniger die Macht besaß, mich ungefähr dreißig Jahre zurückzuversetzen...
... in eine Zeit, als ich Chorknabe in der Holy Cross war, und ein fleißiger Schuhputzer vor der Bibliothek, und ein ansonsten ausgesprochen lästiger kleiner Engel in einer aus gutem Grund Hell’s Kitchen genannten Gegend; und zurück in eine Zeit, als meine Mutter und all die anderen rechtschaffenen, regelmäßig die Kirche besuchenden irischen Ladies unseres Viertels tapfer zu verhindern versuchten, daß wir Jungs erfuhren, was genau im Inneren eines gewissen Hauses an der West Forty-sixth Street vor sich ging, das von einer englischen Dame mit ausgemergeltem Gesicht und schlechten Augen geführt wurde, die bei allen nur Blind Mary hieß. Blind Mary war für zwei Dinge berühmt: An ihrem rechten Fuß hatte sie sechs Zehen, und sie führte sich gern Leuten, die Kuriositäten suchten, als Laune der Natur vor; und sie ließ jeden Burschen in ihren Salon, wenn sie auch nur eine kleine Chance witterte, daß er achtzehn Jahre alt und von daher, nach ihren Maßstäben, Mann genug war, mit einem der Mädchen in den Zimmern im oberen Stockwerk einen gewissen Verkehr auszuüben.
Und hinter Blind Marys Haus stand früher ein alter Holzschuppen mit einem Blechdach, der zum offiziellen Treff einer locker organisierten Gang wurde, die schon bald die Buddy-O’s genannt wurde. Wenn ein Cop je danach fragte, wieso wir ständig zusammen rumhingen, hatten wir immer die schlaue Antwort parat: »Ach, der ist nur ’n Kumpel von mir, mehr nicht, nur ein buddy o’ mine, und der auch, und der auch...« So kamen wir zu dem Namen unserer Gang. Und kein anderer als Aloysius Patrick Xavier Devlin war unser Anführer, und schon damals gab er sich die größte Mühe, es mit einer Gang im Rücken in New York zu etwas zu bringen; und da Devlin derjenige war, der von uns allen die Gang am ernstesten nahm, war er am Ende selbst als Buddy-O bekannt.
An den Maßstäben der Zeit und des Ortes gemessen, waren die Buddy-O’s Kinderkram. Gewisse Familien draußen in Brooklyn verdienten sich mit Auftragsmorden ihre Brötchen, Erpressung war die Domäne der Mitglieder der Social Clubs von der Mulberry Street, das Glücksspiel war den stets schick gekleideten Typen oben in Harlem Vorbehalten, Safes knacken konnte jeder, da es damals wie heute ein Handwerk ist, das großes Geschick erfordert, für Provisionen und Schmiergelder
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