Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
dem sogenannten Fürstenspiegel unterweist ein politischer Philosoph seinen Herrscher und mahnt ein tugendhaftes und moralisches Handeln an. Was ist eine ethisch einwandfreie Amtsführung? Welche staats- und gesellschaftspolitischen Bedingungen gelten für eine erfolgreiche Ausübung dieses Amtes? Mit „Außer Dienst“ fasst Helmut Schmidt noch einmal seine wichtigsten Positionen auf den Feldern der Politik zusammen. Derstrikt belehrende Stil macht die Lektüre anstrengend. Erholung für den Leser gibt es immer dann, wenn Helmut Schmidt ein persönliches Wort einstreut und bislang Unbekanntes aus seinem langen Leben offenbart. Auch „Außer Dienst“ wird ein Bestseller.
Im Herbst 2010 äußert sich Helmut Schmidt einmal mehr über „Dinge, die auf der Hand zu liegen scheinen“. In einem Gespräch mit dem Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, für das Bahn-Magazin „mobil“ spricht er den Wunsch aller Bahnreisenden aus: „Die Eisenbahn möchte bitte pünktlich sein.“ Im Luftverkehr habe man sich an Unpünktlichkeit gewöhnt, und auch „auf der Autobahn weiß man nicht, wann man ankommt“. Die Bahn müsse pünktlich sein, sei es aber längst nicht immer!
Wer außer Helmut Schmidt darf die Bahn in ihrer eigenen Presse kritisieren? Welcher Prominente außer Helmut Schmidt kann einen solchen Allgemeinplatz sagen, ohne dass ihm triviales Geschwätz oder gar Populismus unterstellt wird?
Helmut Schmidt kritisierte mit seinem Pünktlichkeits-Diktum auch den Ehrgeiz der Bahn-Geschäftsführung, Fahrtzeiten durch neue Trassen zu verkürzen. Nicht auf zwölf Minuten Zeitgewinn zwischen Berlin und Hamburg kommt es an, „viel wichtiger sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit“. Prompt wurde dieser Satz politisch instrumentalisiert – ein Kritiker des Bahnprojektes „Stuttgart 21“, das einst beschlossen wurde mit dem Ziel, Fahrzeiten zu verkürzen, berief sich auf den Bundeskanzlerpräsidenten.
Jenseits der 90 macht sich Helmut Schmidt in der Öffentlichkeit rar. Das hohe Alter fordert seinen Tribut. Die Nachfolge-Kolumne von „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ in der „Zeit“ heißt „Verstehen Sie das, Herr Schmidt?“ und lässt ihm mehr Raum für ausführliche, differenzierende Antworten.
Wenn er auch jetzt in größeren Zeitabständen das Wort ergreift, bleibt der letzte Raucher im Dienst.
„Coole Socke“ – der Mehrgenerationenkanzler
In Deutschland gibt es viele Mehrgenerationenhäuser, aber nur einen Mehrgenerationenkanzler. Er heißt Helmut Schmidt.
Helmut Schmidt hat mit jetzt über 90 Jahren einige Generationen in Deutschland erlebt – und einige Generationen ihn, den Politiker und politischen Autor. Doch ein langes Leben allein macht noch keinen Mehrgenerationenkanzler. Dazu bedarf es einer aktiven Beziehung und Auseinandersetzung zwischen den Generationen und diesem Kanzler.
Schmidt selbst hat seine persönliche Prägung häufig als Prägung einer Generation, der „Kriegsgeneration“, beschrieben. Es ist die Generation der Frauen und Männer, die 1933, als Adolf Hitler Reichskanzler wurde, in ihrer Jugend standen. Helmut Schmidt selbst war damals gerade 14 geworden. Diese jungen Leute wussten von der kürzlich untergegangenen Weimarer Demokratie fast nichts. Sie gerieten, wenn die Eltern auf die Lockungen des Nationalsozialismus ansprachen, in den Sog einer „braunen“ Erziehung. „Meine Eltern bemühten sich“, erinnert sich Helmut Schmidt in einem autobiografischen Beitrag für das SPD-Monatsheft „Neue Gesellschaft“ 1968, „den Einfluss der NS-Propaganda auf ihre beiden Söhne möglichst klein zu halten, ohne ihr jedoch direkt entgegenzutreten.“
Helmut Schmidt mochte persönlich Glück gehabt haben – doch „seine“ Generation wurde im prägenden Alter von falschen Werten getäuscht und fehlgeleitet. Nach Schulzeit und Militärdienst hätte das Berufsleben beginnen sollen, doch der Zweite Weltkrieg machte einen normalen Lebensplan zunichte. Fünfeinhalb Jahre mussten die Männer dieser Generation im Namen des NS-Regimes Krieg führen. 1945, nach dem Untergang von Nazi-Deutschland, standen die Angehörigen dieser Generation vor dem Nichts – moralisch, politisch und persönlich. Sie waren traumatisiert von den Notjahren im Krieg undvon dem Elend, dem Morden und Sterben, das sie an der Front erlebt hatten. Das wurden Prägungen fürs Leben. Und sie waren, was politische Ideologien angeht, desillusioniert. „Kaum jemand aus den Generationen vor oder nach
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