Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Selbstzweifeln, sei es aus besserer Einsicht, zeigten sie sich fortan offener für das neue Denken „der Jungen“. Erstaunlich schnell konnten die positiven Folgeerscheinungen der 68er-Bewegung, die Umweltbewegung, die neuen sozialen Bewegungen und die sogenannte Friedensbewegung, in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Die SPD als die größere der beiden Regierungsparteien haben sie sogar völlig durchdrungen. Helmut Schmidt war noch Bundeskanzler, als die Zustimmung der Parteifreunde für den NATO-Doppelbeschluss zu bröckeln begann. Schon mit der ersten Bundestagswahl nach Schmidts politischem Sturz zog eine neue, „grüne“, diese Bewegungen repräsentierende Partei in den Deutschen Bundestag ein.
Helmut Schmidt hat sich im Alter mit manchen Antipoden seines politisch aktiven Lebens ausgesöhnt, etwa mit Jimmy Carter oder Helmut Kohl. Ein medienwirksames Treffen, bei dem Helmut Schmidt einem Repräsentanten der 68er-Bewegung, etwa Joschka Fischer, die Friedenspfeife gereicht hätte, ist nicht bekannt. Daraus wird vermutlich auch nichts mehr.
Sandra Maischberger fragte ihn einmal mit Blick auf die 68er-Bewegung: „Würden Sie im Nachhinein sagen, dass Sie etwas gelassener hätten reagieren müssen, vielleicht?“
Helmut Schmidt: „Ich?“
Sandra Maischberger: „Ja, Sie, manchmal?“
Helmut Schmidt: „Nein.“
Trotz der einst heftigen Konfrontation fällt das Urteil der 68er über Helmut Schmidt inzwischen milde aus. 2003 erscheint eine Biografie über Helmut Schmidt, geschrieben von dem ehemaligen „68er“ Michael Schwelien, inzwischen „Zeit“-Redakteur, der gleich zu Anfang seines Buches Position bezieht: „Schmidt ist eine herausragende Persönlichkeit. Er war der fähigste und intelligenteste Kanzler, den die Bundesrepublik Deutschland je hatte.“ Michael Schwelien zeigt sich in seinem Buch beeindruckt vonHelmut Schmidt, den er als „Zeit“-Herausgeber persönlich erlebt und mit dem er für das Buch Gespräche führt. Auch weckt die Lektüre den Eindruck, als bemühe sich der Autor um eine Art Wiedergutmachung an der Generation seines Vaters.
So weit geht „Spiegel“-Autor Reinhard Mohr – selbst zwar ein Nach-68er, aber von den Ideen der 68er geprägt – nicht. In einem „Spiegel Online“-Beitrag zu Schmidts 90. Geburtstag, aus dem schon zitiert wurde, schwingt gleichwohl Respekt für Helmut Schmidts Lebensleistung mit. Schmidt ist für ihn der „Herbstmeister“ – in der Ersten Fußball-Bundesliga ist das der Titel, den nur eine der 18 Mannschaften holt!
Dem englischen Publizisten Roger Boyes, Deutschland-Korrespondent der „Times“, ist diese schmidtfreundliche Entwicklung nicht geheuer, wie er in einem Gastkommentar für den „Tagesspiegel“ bekundet. „Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kam, traute niemand außerhalb von Bayern seinem Vater oder Großvater.“ Inzwischen sei das Pendel umgeschlagen, und zumindest in Deutschland sei ein übertriebener Respekt für die vermeintliche Weisheit der 80- und 90-Jährigen festzustellen. „Die Umkehr der 80er-Haltung geht mir ein wenig zu weit.“ Und er teilt „die Faszination für Schmidt“ nicht. Helmut Schmidt habe keinen Charme und überschätze seine Intelligenz.
Anders als die 68er kommt die nächste Generation, die der schon erwähnten Babyboomer, mit Helmut Schmidt gut klar. Zu Kindheit und Jugend der Babyboomer gehörten das Sandmännchen, Rosi Mittermaier, Ulrike Meyfarth, Franz Beckenbauer, Ilja Richter, Erik Ode, Christiane F. – und Helmut Schmidt. Diese Generation zählt die „Fa-Frau“ aus der Fernsehwerbung, die Rockgruppe Deep Purple und die Schwarz-Weiß-Übertragungen aus dem Deutschen Bundestag zur gemeinsamen Erlebniswelt. Helmut Schmidt wurde, als die Babyboomer ihr politisches Bewusstsein entwickelten, zur wichtigen Prägefigur.
Der Journalist Anko Ankowitsch fragte 2000 deutsche Babyboomer nach ihren Prägungen in Kindheit und Jugend und versammelte sie in dem Buch „Alles Bonanza“. Jens Albers zum Beispiel schreibt, für ihn seien und blieben die siebziger Jahre
„– Eine tolle Jugend in meiner Heimatstadt Bremerhaven,
– NATO-Jacken, die ersten selbst gekauften Jeans und Wildleder-Boots mit Fransen dran,
– Helmut Schmidt“.
Die deutschen Babyboomer behalten die Fahndungsplakate mit den Konterfeis von RAF-Terroristen in Erinnerung. An diesen Plakaten kamen sie im Postamt vorbei, wenn sie für die Eltern Briefmarken kauften. Und sie erinnern sich genau
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