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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herder
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uns kann sich unsere damalige Lage richtig vorstellen“, schreibt Schmidt in seinem Beitrag. 1945 ging eine „jahrelange Überforderung“, so Schmidt wörtlich, zu Ende.
    Die Angehörigen dieser Generation zogen sich nach diesen Traumata trotzdem nicht in Stubenhocker-Berufe zurück, sondern begannen, sich für das öffentliche Wohl zu engagieren. Sie wurden Bürgermeister, Ratsherren, Gewerkschaftsführer, Generäle, Journalisten oder – wie Helmut Schmidt – Abgeordnete in deutschen Parlamenten. Für Schmidt persönlich war in dieser Zeit ein rascher Aufstieg, eine Karriere möglich, seine politische Ambition war es, ein besseres Deutschland zu schaffen. Die Not zu lindern und zu beheben, aus früheren Fehlern zu lernen. Oder in Schmidts Worten: Der Kriegsgeneration ist die Fähigkeit, „praktisch und unmittelbar Nützliches für das Ganze zu leisten“, wichtiger als eine Utopie oder ein theoretisches Fernziel.
    Wenn sich Helmut Schmidt 2010 in einem „Cicero“-Gespräch darüber erregt, dass die heutigen Politiker gar nicht wüssten, was Krieg sei („deswegen sind sie auch leicht dabei, irgendwo einzumarschieren“), spricht er als Angehöriger der Kriegsgeneration. Und bildet als solcher sein politisches Urteil.
    Die nächste Generation, die Helmut Schmidts Werdegang begleitete, sind die Mitte / Ende der dreißiger Jahre Geborenen, die, wenn sie Glück hatten, „kinderlandverschickt“ wurden, aus besonders gefährdeten Regionen evakuiert, um sie von der Hölle des Krieges möglichst zu verschonen. Kinder, die etwa in den Großstädten in der Familie blieben, erlebten Schlimmes, standen etwa nach einer Nacht im Luftschutzkeller vor den brennenden Trümmern des Hauses, das gerade noch Heimstatt gewesen war. Welches Kind wurde in diesen Jahren nicht mit dem Anblick von toten und sterbenden Menschen konfrontiert? Diese Bilder vom Krieg setzten sich unauslöschlich im kollektiven Gedächtnis dieser Generation fest.
    Diese Generation profitierte vom deutschen „Wirtschaftswunder“ und trug selbst ihren Anteil dazu bei. Ihre Frauen und Männer traten in den fünfziger, spätestens in den sechziger Jahren in das Berufsleben ein. Sie eigneten sich die Wachstumsmentalität jener Zeit an. Sie arbeiteten hart für einen wachsenden Wohlstand, und sie zeugten und gebaren mehr Kinder als jede Generation in Deutschland vor ihr und nach ihr – was für Deutschland Ost und Deutschland West gleichermaßen gilt. Die Kinder dieses historisch einmaligen Babybooms, der seinen Höhepunkt in den Jahrgängen 1959 bis 1964 erlebte, sind die folglich sogenannten Babyboomer, von denen noch zu sprechen ist.
    Doch zunächst machte die 68er-Generation ihren Weg, benannt nach den Studentenunruhen von 1967 und 1968, die von den Angehörigen dieser Generation, damals um die Zwanzig, getragen wurde. Vom Zusammenstoß dieser ersten Nachkriegsgeneration, der „68er“, mit den „Flakhelfern“ war schon die Rede. Dieser Zusammenstoß weitete die Moralvorstellungen der Westdeutschen und machte die politische Kultur in der Bundesrepublik demokratischer. Zugleich bildete sie ein gefährliches Spaltprodukt, den deutschen Terrorismus. Junge Leute radikalisierten sich und erklärten Westdeutschland den Krieg. Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Altersgenossen in hoher Verantwortung hatten bis dato schon einen wirklichen Krieg erlebt und überlebt, diese Kategorie war ihnen – im Gegensatz zu den Terroristen – persönlich bekannt. Die Prägung aus dem Weltkrieg wurde zur Quelle für die Unbeugsamkeit, mit der Helmut Schmidt und die politische Führung den Terroristen begegnet sind. Auch wenn der damalige Bundeskanzler Anschläge und Entführungen nicht verhindern konnte und den Tod des entführten Hanns Martin Schleyer in Kauf genommen hat – nach der Befreiung der Lufthansamaschine im Herbst 1977 war der entscheidende Schlag gegen den Terrorismus geführt. Mit einer nicht zu überbietenden Symbolik räumten deutsche Top-Terroristen ihre Niederlage ein – sie erschossen oder erhängten sich in ihren Gefängniszellen.
    Die Niederschlagung des deutschen Terrorismus im Herbst 1977 hat das politische System der Bundesrepublik nicht repressiver,autoritativer gemacht, sondern vielmehr seine Durchlässigkeit erhöht. Der Vorwurf an Helmut Schmidt und die politische Riege jener Zeit, ihr Handeln sei von einer Staatsräson angeleitet worden und nicht von der Fürsorge für einen Bürger in Lebensgefahr, saß tief. Sei es aus

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