Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Zigarettenlänge“ zu interviewen, ist nicht überliefert. Zu Recht wurde es zum Schmidt-Gesprächsformat schlechthin. Weil Helmut Schmidt der letzte Raucher ist, wirkt das Format glaubwürdig. Weil Helmut Schmidt nur eine Zigarettenlänge braucht, um Freund und Feind zu benennen, liest es sich spannend. Weil die Lektüre eines Gespräches nur eine Zigarettenlänge dauert, ist das Buch gut konsumierbar. Kein Wunder, dass „Auf eine Zigarette“ mit Helmut Schmidt und Giovanni di Lorenzo die Bestsellerlisten stürmte. Helmut Schmidt hat sich schon lange nicht mehr auf kurze Statements im Fernsehen eingelassen, für eine „Zeit“-Kolumneund im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo durchbricht er die eiserne Regel.
Wie viel Humor mit Helmut Schmidt inzwischen möglich ist, sogar im Helmut-Schmidt-Tempel, dem „Zeit“-Haus am Hamburger Speersort, zeigt ein Interview mit Marianne Niemeyer, der langjährigen Mitarbeiterin von Helmut Schmidt bei der „Zeit“. Giovanni di Lorenzo interviewt sie in einer Phase, in der der Protagonist auf Reisen ist. „Früher habe ich ihn nicht gewählt und war froh, als die Grünen kamen“, bekennt Marianne Niemeyer frank und frei. Bevor sie ihn in Person kennenlernte, habe sie kaum glauben können, dass er ein Wesen aus Fleisch und Blut sei. „Das tue ich jetzt“, kommentiert sie lapidar. Auf di Lorenzos Frage, ob er, Schmidt, auch loben könne, antwortet sie ein hamburgisches „... nee!“.
Am 23. Dezember 2008 feiert Helmut Schmidt seinen 90. Geburtstag – und die Deutschen mit ihm. Zahllose Würdigungen seiner Lebensarbeit werden in Zeitungen und Zeitschriften, im Radio, Fernsehen und Internet publiziert. Keine Frage, dieser runde Geburtstag ist in den Medien ein Event. Der Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix wirbt für seine Sonderberichterstattung mit einem Zitat des Jubilars: „Die Deutschen haben ein eigenartiges Talent, bisweilen die falschen Tage zu feiern.“
Mit 90 erhält auch der letzte Raucher Helmut Schmidt seine Absolution. Der Energiekonzert RWE findet in einer ganzseitigen Anzeige: „Wer so viel Energie für ein Land entwickelt, darf auch ein paar Emissiönchen ausstoßen.“ Man gratuliert Deutschlands „Vorzeige-Kraftwerk“ zum 90. und wünscht noch „eine lange Laufzeit“.
Harald Schmidt inszeniert zu dem Anlass in seiner Late Night Show ein Theaterstück. Es treten auf: Harald Schmidt selbst, Schmidt-Freund und Dirigent Justus Frantz und Schmidt-Antipode Oskar Lafontaine. Die Regieanweisung lautet kurz und knapp: „Es gibt keinen Text. Es wird geraucht.“
„Die Zeit“ textet lakonisch „Unser Schmidt“ zu einem großformatigen Porträt des eine Pfeife rauchenden Schmidt. Das ist doppeldeutig, denn der langjährige Mitherausgeber gehört ja auch genauso der „Zeit“ wie ihren Leserinnen und Lesern.
Das Magazin „Vanity Fair“ kürt den nun 90-Jährigen geburtstagshalber zum „ewigen Kanzler“ und zum „Lieblingspolitiker der Deutschen“.
Eine der vielen Geburtstagsreden sei hier zitiert, weil sie die späte Liebe der Deutschen zu ihrem Altkanzler reflektiert. Der Hamburger Bürgermeister sinniert in einer Feierstunde über den „Schlüssel zum Verständnis des außergewöhnlichen Ansehens und der riesigen Sympathie“, die Helmut Schmidt erfährt – früher als Akteur in der Politik, heute als ihr schreibender Begleiter. „Wir Deutsche sehen in ihm all das, was gut ist für uns, Fleiß, Anstand, Ehrlichkeit, Fairness, aber auch eine typische hamburgische Art des Charmes und des Humors.“ Ole von Beust nennt ihn „einen besonderen Charakter, bestimmt kein einfacher Mensch“. Zugleich würdigt er ihn als jemanden, der über sich selbst lachen kann, der spät in seinem Leben, aber nicht zu spät, Distanz zu sich selbst gefunden hat.
Einer der spannendsten Beiträge zu Schmidts 90. Geburtstag kommt von „Spiegel“-Autor Reinhard Mohr. Er blickt mit Sympathie und Respekt auf „die rauchende Eminenz der Republik“. Die „neue deutsche Schmidt-Begeisterung“ erklärt er damit, dass Helmut Schmidt sich in einer streitbaren und selbstbewussten Schärfe, zuweilen auch mit ungerechter Kritik äußert wie niemand sonst, dabei aber einen „Konsens allgemeiner Vernunft“ formuliert, so etwas wie den Common Sense der Bundesrepublik.
Reinhard Mohr beobachtet, dass der Klartext-Redner Helmut Schmidt häufig Offensichtliches ausspreche, „Dinge, die auf der Hand zu liegen scheinen“. Richtig, der Papst hat von
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