Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Volk in der prekären Mittellage Europas, treibt ihn unvermindert an. Doch längst ist eine Politiker-Generation am Zug, die politisches Handeln nicht mehr absolut setzt. „Ich will nicht als Berufspolitiker pensioniert werden“, gab Ole von Beust, fast ein Jahrzehnt Erster Bürgermeister von Hamburg, 2010 zu Protokoll. „Ich finde, irgendwann hat sich ein Berufspolitiker verbraucht. (…) Man selbst und die Wähler bekommen den Eindruck: Das haben wir doch alles schon oft gehört.“
Auch Ole von Beust ist ein Kind seiner Zeit – einer ganz anderen als jener, in der Helmut Schmidt politische Verantwortung getragen hat. Es war schon davon die Rede, dass der persönliche Verschleiß einer Politikerin, eines Politikers in der Berliner Republik schneller vonstattengeht als in der alten Bundesrepublik. Das klingt auch bei Ole von Beust durch, wenn er sagt, sein Gefühl, aufhören zu müssen, habe mit der zunehmenden Dichte der Medienberichterstattung zu tun. „Es erscheinen immer mehr, sich immer wiederholende Berichte über einen. Man ist einfach schneller durchgenudelt, als das noch vor zwanzig Jahren der Fall war.“ Sprichwörtlich für Ole von Beusts Rücktritt wurde sein Satz: „Alles hat seine Zeit.“ Womit er auch meinte: ein Ende.
Bereits vor Ole von Beust haben andere mehr oder weniger geschickt ihren Rückzug aus der Politik mit ähnlichen Begründungen erklärt, so der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der während der CDU-Spendenaffäre das stärkste Stehvermögen eines deutschen Politikers nach 1945 gezeigt hat. Er überstand eigene Fehler während der Spendenaffäre und saß als nur noch geschäftsführender Ministerpräsident die Versuche, ihn im Hessischen Landtag abzuwählen, erfolgreich aus. Noch spektakulärer, weil beispiellos, war der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler so kurz nach seiner Wiederwahl – unabhängig von Köhlers persönlichen Motiven ein prägnanter Hinweis darauf, wie anders das politische Personal der Berliner Republik „tickt“.
Zu der politisch aktiven Zeit von Helmut Schmidt gehörte es zum Berufsethos, dass jemand, der das öffentliche Wohl zu sichern und zu mehren sucht, dieses Wohl über alles stellt – auch über das eigene. Ein Angestellter mochte von einem auf dem anderen Tag kündigen, ein Politiker durfte es auf keinen Fall. „Ein Mann sagt Nein“, schrieb die „Zeit“ nach dem Rücktritt von Horst Köhler. Ein weiteres Tabu war gebrochen. Bis dahin war das Amt des Bundespräsidenten unantastbar – bei aller politischen Auseinandersetzung warf man keine rhetorischen Eier nach ihm, weil das nicht nur die Person, sondern das höchste Amt im Staate treffen muss. Nach Horst Köhlers Rücktritt ist das Amt beschädigt, die Schutzzone um eine Bundespräsidentin, einen Bundespräsidentenkleiner geworden – auch das eine Entwicklung der Berliner Republik.
Roland Koch und Ole von Beust gingen „ohne erkennbare Not“, wie Matthias Krupa ebenfalls in der „Zeit“ geschrieben hat. Koch und von Beust repräsentierten, so Krupa, das politische Selbstverständnis ihrer Generation, und er zeigt Verständnis für ihre Beweggründe: „Wer heute in die Politik geht, ist meistens frei von jedem tragischen Motiv, von dem Gefühl existenzieller Not. Das ist – bei aller Bewunderung für die Alten – ein großer Fortschritt.“
Neben dem Beitrag von Matthias Krupa steht die Widerrede von Mariam Lau. Für sie ist Ole von Beusts Rücktritt ein „Abschied nach Sylt“. Horst Köhler, Roland Koch und Ole von Beust hätten offensichtlich keinerlei Verpflichtung gegenüber ihren Wählern verspürt, die ihnen doch für vier oder gar fünf Jahre das jeweilige Amt anvertraut hatten. Die Autorin wirft dem Trio einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein vor. Ihr Blick gehe nicht über das eigene Wohlbefinden hinaus auf die Lage des Landes.
Kein Zweifel, der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler hat im Jahr 2010, diesem Jahr der spektakulären Rücktritte, das heftigste Beben ausgelöst. Er bleibt noch rätselhafter als der abrupte Rücktritt von Oskar Lafontaine im März 1999 als Finanzminister und SPD-Vorsitzender – jedenfalls so lange, wie sich Horst Köhler noch nicht selbst erklärt hat. Auch Helmut Schmidt konnte sich in einem „Zeit“-Gespräch keinen Reim darauf machen. Er, der Horst Köhler schätzte, wird den Rücktritt als vertane Chance gesehen haben, konnte Köhler in diesem Amt doch Probleme klarer benennen, als dies einer
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